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"Gleichberechtigt wie jeder andere Mitarbeiter"

München, den Datum: 23.12.2014
Gesundheit

Der gehörlose Bürokaufmann Tyll Winkler über seine Arbeit bei VerbaVoice

Bei VerbaVoice ist Tyll Winkler einer von acht Mitarbeitern mit Hörbehinderung. Der 43-Jährige ist von Geburt an taub. Seit 2010 ist der Kaufmann für Bürokommunikation in dem Unternehmen für die Finanzverwaltung und das Büromanagement verantwortlich. Im Interview berichtet er über die Vorbehalte gegenüber Menschen mit Hörbehinderungen in der Arbeitswelt und warum dies bei VerbaVoice ganz anders ist.

Herr Winkler, der Bezirk Oberbayern hat VerbaVoice mit dem Inklusionspreis ausgezeichnet. Was bedeutet dieser Preis für Sie?

Tyll Winkler: VerbaVoice schafft Barrierefreiheit für Hörgeschädigte – und das auch im eigenen Unternehmen. Dass dies jetzt öffentlich gewürdigt wird, darauf bin ich stolz.

Wie kamen Sie zu VerbaVoice?
Winkler: Vor VerbaVoice habe ich in einem kleineren Betrieb im Büro gearbeitet. Allerdings wurde ich dort überraschend gekündigt, weil ich als hörgeschädigter Mitarbeiter nicht telefonieren kann. Während ich dann eine neue Arbeitsstelle suchte, kam Frau Nachtrab auf mich zu und holte mich in ihr Unternehmen als Buchhalter.

Was bedeutet dieser Arbeitsplatz für Sie?

Winkler: Bei VerbaVoice zu arbeiten bedeutet für mich eine große Chance, da ich gleichberechtigt wie jeder andere hörende Mitarbeiter behandelt werde. Das hatte ich bei meiner vorherigen Arbeitsstelle nicht so erlebt. Dort bin ich immer wieder auf Vorbehalte gestoßen, ob ich die Arbeit auch wirklich ausführen kann. Das ist bei VerbaVoice nicht der Fall. Ich habe hier eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Wie kommunizieren Sie mir Ihren hörenden Kollegen im Alltag?

Winkler: Unsere hörenden Kollegen bekommen intern Gebärdensprachkurse, daher kann ich mit ihnen auch kommunizieren. Für längere Gespräche oder neue Mitarbeiter werden für Besprechungen Dolmetscher bestellt – entweder interne Teamdolmetscher oder unsere Online-Dolmetscher. Außerdem bin ich bei VerbaVoice einer von acht hörgeschädigten Mitarbeitern, das heißt, ich kann mich mit Kollegen auch in meiner Muttersprache – also in Gebärdensprache – unterhalten.

Sie haben seit September eine ebenfalls gehörlose Auszubildende. Wie ist es dazu gekommen und was bedeutet das für Sie?

Winkler: Durch meine eigene Erfahrung weiß ich, wie schwer es ist, als Hörgeschädigter einen guten Arbeitsplatz in einem Unternehmen zu bekommen. VerbaVoice kann das bieten. Daher haben wir zusammen mit der Geschäftsführung überlegt, wie wir jungen Menschen mit Hörbehinderung eine Chance auf eine gute Ausbildung bieten können. Zum Glück hat sich nach unserer Ausschreibung dann eine passende Auszubildende gefunden! Ich kann ihr meine Berufserfahrung sowohl fachlich als auch als gehörloser Mitarbeiter weitergeben. Ich hoffe, dass es für die nächste Generation viel selbstverständlicher sein wird, in einem inklusiven Unternehmen zu arbeiten.

Konnten Sie aus Ihren Erfahrungen als Gehörloser schon eigene Ideen für Produktentwicklungen beigesteuern?

Winkler: Darum kümmern sich vor allem die Techniker in der IT-Abteilung – in einem Team aus hörenden, gehörlosen und schwerhörigen Mitarbeitern. Aber als hörgeschädigter Mitarbeiter bin ich gleichzeitig auch Produkttester innerhalb der Firma, bevor diese auf den Markt kommen. Das heißt, ich kann Verbesserungsvorschläge und neue Impulse eingeben.

Was ist Ihre Vision für Menschen mit Hörbehinderungen?

Winkler: Dass es in Zukunft selbstverständlich ist, dass hörende und hörgeschädigte Menschen zusammen barrierefrei arbeiten können: Entweder durch das Erlernen der Gebärdensprache für Hörende oder durch den Einsatz von Online-Dolmetschern, damit Hörgeschädigte im Arbeitsleben nicht vom Informationsaustausch ausgeschlossen sind und somit auch die Chance haben Karriere zu machen.