Berg aus Angst - Januar
„Als Bergsteiger und Kletterer ist Angst mein bester Freund“, sagt Alexander Huber, der sich als Extrembergsteiger und -kletterer einen Namen gemacht hat. Angst, so Alexander Huber weiter, sei am Berg seine einzige effektive Lebensversicherung. So wie 2008 an der Westwand des Holtanna im Queen Maud Land mitten in der Antarktis, die er zusammen mit seinem Bruder Thomas und dem Schweizer Stephan Siegrist anging. 750 Meter senkrechter Fels in eisiger Kälte – ein extremes Projekt, das mit der Erstbesteigung der Wand belohnt wurde.
Doch was tun, wenn die Angst plötzlich im Alltag einbricht und jedes Gefühl und jede Handlung bestimmt? Alexander Huber ist genau das acht Jahre vor der Antarktis-Expedition passiert. Geldsorgen, Erfolgsdruck und eine langwierige Verletzung hatten dazu geführt, dass die Angst überhand nahm. Bis er sich schließlich professionelle Hilfe suchte. „Die beste Entscheidung in meinem Leben“, wie Huber rückblickend sagt. Seine Erfahrungen mit der Angst waren ausschlaggebend dafür, dass er sich 2016 als Fürsprecher für den Krisendienst Psychiatrie Oberbayern zur Verfügung stellte. Mit diesem Angebot für Menschen in akuten Krisensituationen war der Bezirk Oberbayern damals Vorreiter für die Krisendienste Bayern, die im März vergangenen Jahres ihren Betrieb aufnahmen. Seither ist die psychiatrische Soforthilfe bayernweit unter der kostenlosen Rufnummer 0800 / 655 3000 erreichbar, und zwar rund um die Uhr. Wer dort anruft, wird automatisch an seine regionale Leitstelle vermittelt und bekommt schnelle Hilfe in der Not. Egal, ob es sich um die Betroffenen selbst handelt, um Angehörige oder um beteiligte Dritte. Manchmal können die Fachleute die Situation bereits am Telefon beruhigen oder auch kurzfristig einen Termin für eine Beratung organisieren. Wenn das nicht reicht, kommen mobile Teams zum Einsatz. Außerdem kann die Leitstelle bei Bedarf eine stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik vermitteln.
Ziel des Krisendienstes war von Beginn an, den Betroffenen auf menschliche Art zu helfen und vor allem eine Zwangseinweisung in psychiatrische Kliniken zu vermeiden. Denn, wie Oberbayerns Bezirkstagspräsident Josef Mederer sagt: „Blaulichteinsätze sind für Menschen, die rasche und qualifizierte Unterstützung brauchen, nicht hilfreich.“ Der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern wurde schnell zum Erfolgsmodell und letztlich zum Vorbild für ganz Bayern. 2018 verankerte der Freistaat die Einrichtung der Krisendienste in seinem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Seither übernimmt er die Kosten für die Leitstellen, während die Bezirke die Kosten für die „Rund-um-die-Uhr-Hilfe“ tragen. Im vergangenen Jahr stellte der Bezirk Oberbayern dafür rund 14,2 Millionen Euro bereit. „Ein gewaltiger Brocken“, gibt Mederer zu. Aber: „Jeder Cent ist bestens investiert.“
Das Angebot stößt auf große Resonanz. Allein 2020 riefen rund 30.000 Hilfesuchende bei der Leitstelle Oberbayern an. Und die aufsuchenden Krisenteams rückten dort fast zweitausend Mal aus – zu jeder Tages- und Nachtzeit. Für Bergsteiger Alexander Huber ist der Krisendienst ein Angebot, das er jedem empfiehlt, der in eine Notlage gerät. Denn wie er mit seinen Erfahrungen aus der Bergwelt sagt: „Wenn man einen Berg besteigen will, bringt es nichts, immer nur um den Berg herumzulaufen. Irgendwann muss man den Berg angehen. Gleiches gilt auch für Krisen im Leben. Wenn man merkt, dass es einem nicht gut geht, sollte man selbst aktiv werden.“
Weitere Informationen unter www.krisendienst.bayern.de/oberbayern