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„Psychische Folgen von Einsamkeit können fatal sein“

München, den Datum: 17.10.2023
Gesundheit

Im Gespräch: Michael Mauerer-Mollerus, Vorstandschef der ARGE Krisendienst Psychiatrie

Das Gefühl, einsam zu sein, kennt wohl jeder Mensch. Untersuchungen zufolge sind in Bayern über sechs Prozent der Menschen häufig oder sehr häufig einsam. In den meisten Fällen handelt es sich um ein vorübergehendes Erleben. Langanhaltende Einsamkeit birgt jedoch die Gefahr, ernsthaft seelisch zu erkranken. Michael Mauerer-Mollerus ist Vorstandsvorsitzender des Trägervereins ARGE e. V., der als einer der Gesellschafter die Geschäftsstelle des Krisendienstes Psychiatrie Oberbayern betreibt. Im Gespräch erklärt er, wann Einsamkeit zum Problem wird und wie die Krisendienste Bayern helfen können.

Portraitfoto eines Mannes mit blauen Augen und Vollbart.
Michael Mauerer-Mollerus ist Vorstandsvorsitzender des Trägervereins ARGE e. V., der als einer der Gesellschafter die Geschäftsstelle des Krisendienstes Psychiatrie Oberbayern betreibt (Foto: Carola Plötz | Bezirk Oberbayern )

Herr Mauerer-Mollerus, haben Sie sich selbst schon einmal einsam gefühlt?
Michael Mauerer-Mollerus Ja klar! Ich denke, jeder Mensch kennt das Gefühl – nach einer Trennung beispielsweise.

Wie haben Sie dieses Gefühl überwunden?
Ich bin ein sehr aktiver Mensch – ich fahre gerne Motorrad, spiele in einer Band. Ich interessiere mich für andere Menschen. Dadurch kommt meist Interesse von meinem Gegenüber zurück. Wenn mal richtig der Schuh drückt, dann rede ich viel mit meinem Umfeld, mit Freundinnen und Freunden und meiner Familie. So ist es mir bis jetzt immer gut gelungen, mich abzulenken oder mich auszutauschen.


Das gelingt nicht allen Menschen. Wann wird aus Ihrer Sicht Einsamkeit zum gesundheitlichen Risiko?
Wir müssen zunächst einmal grundlegend unterscheiden: Allein zu sein bedeutet nicht automatisch, einsam zu sein. Ich kann mich auch mitten in einer Gruppe einsam fühlen. Denn Einsamkeit lässt sich nicht messen, sondern beschreibt ein Gefühl, welches unterschiedliche Ursachen haben kann. Einsamkeit betrifft überwiegend unsere Seniorinnen und Senioren. Aber auch Mobbing, Gewalterfahrung oder bestimmte psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen bringen das Gefühl der Einsamkeit mit sich. Wenn negativ besetzte Gefühle über einen längeren Zeitraum anhalten und sogar soziale Isolation befördern, befinden wir uns in einem gesundheitlich riskanten Bereich. Ist jemand dauerhaft durch Gefühle wie Angst, Traurigkeit, Schuld, innere Leere, Selbstzweifel oder eben Einsamkeit belastet, stellt das einen massiven Stressfaktor für den Körper dar. Die psychischen Folgen können fatal sein.

Welche seelischen Erkrankungen können auftreten?
Wir reden hier ganz klar von könnten auftreten, denn es muss ja zu keiner Erkrankung kommen. Aber in der Tat haben einige Untersuchungen gezeigt, dass sich durch anhaltende und stark belastende Einsamkeitsgefühle psychiatrische Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Essstörungen und selbstverletzendes Verhalten bis hin zur Suizidalität entwickeln können. Daher ist es auch so wichtig für die Menschen, mit ihrem Umfeld zu sprechen und sich frühzeitig Hilfe zu holen.#

Wo können sich die betroffenen Menschen beraten und helfen lassen?
Menschen, die durch das Empfinden von Einsamkeit belastet sind, empfehle ich, selbst aktiv zu werden und sich mit Freunden, Familie oder anderen Vertrauenspersonen auszutauschen. Es gibt Beratungsstellen, die Menschen auf dem Weg aus der Einsamkeit unterstützen. Wenn die Einsamkeit aber aufgrund einer bereits bestehenden psychischen Erkrankung auftritt oder jemand fürchtet, in eine psychische Krise zu geraten, dann rate ich ganz konkret: Wenden Sie sich jederzeit an die Krisendienste Bayern unter 0800 / 655 3000. Auch wenn Sie sich Sorgen um eine Person in Ihrem Umfeld machen und für sich selbst Entlastung oder Tipps im Umgang mit Betroffenen suchen, können Sie die Hilfe der Krisendienste Bayern in Anspruch nehmen. Unsere Profis begleiten Sie im Gespräch durch die schwierige Situation.

Wie unterstützen die Krisendienste Bayern Menschen, die aufgrund von Einsamkeit in schwere seelische Krisen geraten?
Wir sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen da, wir werten nicht, wir hören zu und nehmen uns Zeit, um gemeinsam mit der hilfesuchenden Person eine Lösung zu finden. Wenn die Situation am Telefon sehr komplex oder unklar erscheint, bieten wir eine persönliche Krisenintervention durch ein mobiles Team an, bestehend aus zwei Fachkräften der Bereiche Sozialpädagogik, Psychologie und Fachkrankenpflege. Sie verschaffen sich vor Ort einen Überblick über die Situation. Ein entlastendes Gespräch reicht in vielen Fällen bereits aus. Wenn sich aber weiterer Bedarf abzeichnet, versuchen wir, passende Angebote aus dem ambulanten oder stationären Bereich zu vermitteln.

Worauf legen Sie im Umgang mit Menschen in seelischen Krisen noch wert?
Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass die Mitarbeitenden der Krisendienste Bayern Menschen respektvoll und auf Augenhöhe begegnen. Wir müssen die Menschen so akzeptieren, wie sie sind, sie nicht aussortieren, sondern in unsere Mitte nehmen. Das beziehe ich nicht nur auf Menschen in Krisen, sondern generell auf alle, die vielleicht nicht unserer Norm entsprechen. Wir müssen uns von Vorurteilen und vom defizitären Blick auf die Andersartigkeit von Menschen lösen. Es geht darum, einmal genauer hinzuschauen und zu entdecken, was die Person alles an Ressourcen mitbringt. Zeit und echtes Interesse an meinem Gegenüber sind in meinen Augen wirklich hilfreich.


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