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Wie gendert man in Gebärdensprache?

München, den Datum: 26.09.2022

Gespräch über barrierefreie Kommunikation

„Hand drauf“ ist ein Instagram-Kanal für junge Gehörlose. Es geht um Themen wie Diskriminierung und Benachteiligung, aber auch um Mut, Chancen und Identität. Die taube Journalistin Iris Meinhardt präsentiert dort Themen in Deutscher Gebärdensprache (DGS). Im Interview erklärt sie, was wichtig für eine barrierefreie Kommunikation ist.

Portraitfoto einer jungen Frau, die den lecht abgewinkelten Zeigefinger ihrer rechten Hand Hand hebt.
Iris Meinhardt ist unter anderem Host bei »Hand Drauf«, Autorin, Moderatorin, redaktionelle Mitarbeiterin bei »Sehen statt Hören« und anderen Formaten des BR.

Frau Meinhardt, was bedeutet digitale Barrierefreiheit für Sie?
Iris Meinhardt Digitale Barrierefreiheit bedeutet für mich einen Medienzugang auf Augenhöhe. Alle Menschen müssen schnellen und gleichberechtigten Zugang zu Medien und Informationen haben.

Wo treten Barrieren auf?
Es gibt meist keine oder nur schlechte Untertitel und kaum Gebärdenspracheinblendungen. Manchmal sind die Formulierungen und die Wortwahl sehr diskriminierend. Häufig ist die Kommunikation auch nicht inklusiv und divers genug und die Themenauswahl sehr einseitig. Wenn über uns Gehörlose berichtet wird, dann meistens im Zusammenhang mit Cochlea-Implantaten (CI) oder Musik. Hörende haben oft die Ansicht, dass gehörlosen Menschen geholfen wird, wenn sie mit Cochlea-Implantaten „repariert“ werden oder mit technischen Hilfsmitteln Musik wahrnehmen können. Aber diese Themen werden in der Gehörlosen-Community kritisch gesehen. Gehörlose wollen nicht repariert werden, sondern Zugang zur Gebärdensprache haben. Viele Hörende denken mit einer Operation können Gehörlose wieder hören. Dabei stimmt das nicht. Neben den Risiken der OP muss man jahrelang Hör­und Sprechtrainings absolvieren. Oft reichen diese nicht aus. Man braucht auch die Gebärdensprache.

Was wünschen Sie sich?
Wenn es um gehörlose Menschen geht, müssen diese miteinbezogen werden. Zu Themen wie zum Beispiel CI werden hörende Expertinnen und Experten wie HNO-Ärztinnen und Ärzte herangezogen, die darüber berichten, wie erfolgreich ein CI ist. Sie haben aber oft kein Wissen über die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur. Trotzdem wird den hörenden Expertinnen und Experten häufig mehr Gewicht in Beiträgen gegeben als der kritischen Perspektive von Gehörlosen oder diese Perspektive gar nicht erst erwähnt. Es gäbe auch andere interessante Themen, wie zum Beispiel „Wie gendert man in Gebärdensprache?“. Es gibt Gehörlosentheater mit spannenden Projekten, in denen gehörlose und manchmal hörende Schauspielerinnen und Schauspieler zusammenarbeiten. Eine eigene Kunstform der Gebärdensprache nennt sich „Visual Vernacular”. Damit werden Geschichten durch Mimiken, ­Gesten, intensive Körperbewegungen und Gesichtsausdrücke ­erzählt.

Wie kann die digitale Barrierefreiheit für gehörlose Menschen weiter verbessert werden?
Optimal sind Dolmetschereinblendungen in DGS und gute Untertitel bei Videos. Automatisch generierte Untertitel, wie sie zum Beispiel bei YouTube oder Instagram angeboten werden, sind häufig qualitativ schlecht. Die Spracherkennung ist fehlerhaft, der Kontext häufig nicht richtig, ­Worte werden falsch verstanden.

Welche (technischen) Entwicklungen sind Ihrer Meinung nach in Zukunft relevant?
Entwicklungen wie Gebärdenhandschuhe und Avatare werden in der Community kontrovers diskutiert. Bei Gebärdenhandschuhen ist die Kommunikation einseitig, da sie nur die Gebärden für die Hörenden übersetzen, für die Nichthörenden haben sie keinen Vorteil. Und generell können Gebärdensprachhandschuhe keine Mimik oder Körperhaltungen erkennen. Auch Computeranimationen, sogenannte Avatare, sind noch nicht so weit entwickelt, dass sie alle Elemente, die es in der Gebärdensprache gibt, umsetzen können. Es ist bislang nicht angenehm, ihnen zu folgen. Bei Vorträgen, Pressekonferenzen und Diskussionsrunden sind professionelle Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetscher unersetzlich.

Jetzt sind wir neugierig: Wie gendert man denn nun in Gebärdensprache?
Die Gebärdensprache ist geschlechts­neutral. Aber es sind einige diskriminierende Gebärden vorhanden. Zum Beispiel die alte Gebärde für Frau. (Interview: cp)