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Ein Stein für jedes ermordete Kind

München, den Datum: 27.11.2023

Am kbo-Isar-Amper-Klinikum setzen Kinder Kindern ein Denkmal

An die Kinder, die in der „Kinderfachabteilung“ der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Haar-Eglfing in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden, erinnert ein neues Mahnmal. Dafür wurden drei Gabionen mit Steinen gefüllt, die Schülerinnen und Schülern künstlerisch gestaltet haben. Jeder Stein steht für ein ermordetes Kind. Das Denkmal befindet sich auf dem ehemaligen Krankenhausgelände Haar II.

Die Anstalt in Haar spielte eine führende Rolle bei der systematischen Vernichtung von Menschen, die aufgrund von Krankheiten oder Behinderungen von den Nazis als „nicht lebenswert" angesehen wurden. Sowohl in den betroffenen Familien als auch in der Bevölkerung sei zu lange zu den Schicksalen der Kinder geschwiegen worden, räumt Franz Podechtl, Geschäftsführer des kbo-Isar-Amper-Klinikums, ein. Doch nun sei der Zeitpunkt gekommen, für eine „ganz neue Schicht von Erinnerung und ganz neue Perspektiven".

In einem Drahtbehältnis sind viele bunt bemalte Steine zu sehen, auf denen ein Name sowie Geburts- und Todestage verzeichnet sind.
Ein Mahnmal aus drei Gabionen mit Steinen, die Schülerinnen und Schülern künstlerisch gestaltet haben. Jeder Stein steht für ein ermordetes Kind. (© kbo - Kliniken des Bezirks Oberbayern)

„Die Idee zu dem Projekt entwickelten die Schülerinnen und Schüler im Unterricht. Sie waren tief berührt und bewegt“, erzählt Nicole Wohnhas. Die Lehrerin, die das Projekt angestoßen hat, unterrichtet an der Haarer Fachoberschule (FOS) und führt durch die KZ-Gedenkstätte Dachau. Neben der FOS in Haar haben sich auch Schülerinnen und Schüler der Mittelschule Haar, des Ernst-Mach-Gymnasiums Haar, der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte in München sowie der Staatlichen Berufsschulen München-Land und Dachau am Projekt beteiligt.

Unterstützt wurden sie vielfältig: Der Gemeinderat Haar stimmte der Errichtung des Mahnmals einstimmig zu, das kbo-Isar-Amper-Klinikum und der Bezirk Oberbayern halfen bei der Recherche. Insgesamt wurden 337 Steine bearbeitet – für jedes ermordete Kind einer. Jeder Stein ist individuell bemalt, trägt den Namen und die Daten eines der ermordeten Buben oder Mädchen.

Opfern ihre Namen zurückgeben

337 Kinder, so der aktuelle Stand der Forschung, wurden in der sogenannten Kinderfachabteilung in Haar von und durch die Nazis ermordet. Ermordet, weil sie angeblich zu krank seien, weil sie nicht lebenswert seien, weil sie keinen Mehrwert für die „Volksgemeinschaft“ hätten. Bei ihrem Projekt „Gemeinsam erinnern“ war es Nicole Wohnhas wichtig, „dass die ermordeten Kinder nicht in Vergessenheit geraten, ihnen ihre Namen zurückgegeben und sie für alle sichtbar gemacht werden." Dafür brauche es Denkmäler, aber auch gesellschaftliche Aufklärung.

Erinnerungsarbeit ist befreiend

Bei der Präsentation des neuen Gedenk­ortes auf dem ehemaligen Krankenhausgelände Haar II kamen auch Angehörige zu Wort. So schilderte Claudia Clauß eindrucksvoll das kurze Leben ihres Großcousins Lorenz „Lenzi" Dietl, der 1945 als Siebenjähriger in der Haarer Anstalt starb. Sie erläuterte, dass sie es als „unheimlich befreiend“ empfinde, dass nun die Geschichte ihres Verwandten und der anderen ­Opfer aufgearbeitet werde.
kbo-Geschäftsführer Franz Podechtl bedankte sich nicht nur bei den Lehrerinnen und Lehrern, sondern auch bei den am Projekt beteiligten Schülerinnen und Schülern: „Ihre Idee, für jedes der getöteten Kinder einen Stein zu gestalten, ist ­bemerkenswert und zeitlos zugleich.”
(we)

Gedenkort Casinostraße 6

Der neue Gedenkort befindet sich in der Casinostraße 6 in Haar. Es ist das erste Mal, dass alle Namen der „Reichs­ausschusskinder", wie sie ­damals abfällig genannt wurden, ­gemeinsam am Ort des Geschehens sichtbar gemacht und ihre Geschichten öffentlich thematisiert werden.