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„Je textlastiger desto besser“

München, den Datum: 27.11.2023

Wie müssen Dokumente für die blinde und sehbehinderte Leserschaft aufbereitet werden?

Sabine Hoffmann leitet das Servicecenter für blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler am Städtischen Adolf-Weber-Gymnasium (AWG) in München. Sie ist selbst blind und unterstützt die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte bei den Herausforderungen der schulischen Inklusion. Im Interview erzählt sie, worauf sie persönlich bei der Erstellung barrierefreier Dokumente Wert legt.

Was bedeutet digitale Barrierefreiheit für Sie?
Sabine Hoffmann
Digitale Barrierefreiheit bedeutet für mich Teilhabe und Chancengerechtigkeit in der Bildung, in der Arbeit und im Privatleben. Word-Dokumente, PDF-Dateien und Internetseiten müssen für alle Menschen ohne Probleme lesbar und bedienbar sein.
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Wie wichtig sind digitale An­wen­dungen für Sie in der Arbeit?
Sehr wichtig. Um Internetseiten und Textdokumente zu lesen, benutze ich die Braillezeile oder einen Screenreader. Ich erhalte die Unterrichtsmaterialien als Worddateien von den Lehrkräften und prüfe, ob diese für unsere blinden Schülerinnen und Schüler barrierefrei zugänglich und verständlich sind oder ob sie nachgearbeitet werden müssen.

Was sind die häufigsten Barrieren?
Ein Problem ist, dass heutzutage alles immer grafischer wird. Fotos, Infografiken, Animationen ersetzen immer häufiger den Text. Das kann eine ganz große Hürde sein, wenn es keinen erklärenden Alternativtext zu diesen Elementen gibt. Wenn nur das reine Bild vorhanden ist, kann der Screenreader nichts erkennen. Dann kann ich vielleicht gerade noch die Überschrift der Seite lesen, aber der Inhalt bleibt ­unzugänglich.

Welche Hürden gibt es noch?
Eine weitere Hürde sind Tabellen. Wenn man eine Tabelle mit vielen Spalten und Zeilen hat, kann das sehr unübersichtlich werden. Denn der Screenreader liest zuerst, was in der ersten Spalte steht, dann kommt die zweite Spalte und so weiter. Das funktioniert zum Beispiel ganz gut mit einer Vokabeltabelle mit zwei Spalten, aber sobald eine dritte Spalte mit Beispielsätzen hinzukommt, wird es schon schwieriger. Sehr ärgerlich ist es auch, wenn Verlinkungen nicht mit Text hinterlegt sind oder nur über ein anklickbares Bild funktionieren. Der Screenreader liest dann entweder nichts oder die ganze lange kryptische Adresse vor, aber als blinde Nutzerin oder Nutzer hat man keine ­Ahnung, wohin der Link führt.

Worauf sollte man bei der Erstellung barrierefreier Dokumente achten?
Dieses Thema ist sehr umfangreich und gar nicht so einfach zu beantworten. „Das” barrierefreie Dokument oder „die” barrierefreie Anwendung für alle Arten von Sehbehinderungen gibt es nicht. Für Schulbücher gibt es behördliche Richtlinien und Standards für die Übertragung in Brailleschrift, an die wir uns halten. Generell lässt sich sagen: Je textlastiger desto besser. Alles, was man mit der Computertastatur schreiben kann, ist auch für den Screenreader und auf der Braillezeile lesbar. Grafische Elemente wie Bilder, Animationen, Pfeile, Sternchen sollten mit einem erklärenden Alternativtext hinterlegt werden. Außerdem sollte darauf geachtet werden, dass die Inhalte mit der Tastatur navigiert werden können. Dafür ist es wichtig, für Überschriften und Aufzählungszeichen die entsprechenden Formatvorlagen von Word zu verwenden und ein automatisches Inhaltsverzeichnis zu erstellen. Links sollten immer mit einem Text hinterlegt werden. Tabellen sollten einfach gestaltet sein, besser noch als reiner Text formuliert oder als Liste mit Aufzählungszeichen angelegt werden.

Wie schreibt man einen guten Alternativtext für Bilder?
Generell sollte ein Alternativtext kurz sein und genau beschreiben, was auf dem Foto zu sehen ist. Wie ausführlich der Alternativtext sein sollte, hängt stark vom Kontext ab. Wenn ich zum Beispiel in einem Online-Shop einen Pullover kaufen möchte, dann interessiert mich natürlich sehr, welche Farbe er hat oder wie das Material beschaffen ist. Da kann der Text auch gerne ausführlicher sein. Handelt es sich dagegen um ein reines Deko-Bild, dann reicht für mich auch „Symbolbild: Pullover”.

Wie kann die digitale Barrierefreiheit weiter verbessert werden?
Barrierefreiheit muss bei allen technischen Entwicklungen von Anfang an mitgedacht und berücksichtigt werden. Oftmals hat dieses Thema bei Neuentwicklungen aber einen sehr geringen Stellenwert oder wird ganz vergessen. Es ist sehr frustrierend, wenn selbst öffentliche Einrichtungen digital nur eingeschränkt erreichbar sind und es keinen gleichberechtigten Zugang gibt. Entwicklerinnen und Enwickler sollten darauf achten, dass ihre Websites und Anwendungen die Richtlinien für barrierefreies Webdesign einhalten. (Interview: cp)

Eine Frau an ihrem Büroarbeitsplatz mit Computer, Monitor, Drucker, Tastatur sowie einer Brailletastatur davor.
Sabine Hoffmann an ihrem Arbeitsplatz