Grußwort und Vorträge
Grußwort des Vorsitzenden des ZUK-Trägerverbundes Prof. Wolfgang Schröder
Stellvertretend für den Rektor des Zentrums für Umwelt und Kultur (ZUK) Pater Karl Geißinger eröffnete Prof. Wolfgang Schröder, Vorsitzender des ZUK-Trägerverbunds, die vierte Dialogveranstaltung. Der Forstwissenschaftler und Wildbiologe blickte zunächst zurück auf seine Studienzeit in den 1960er-Jahren und betonte, dass er sich für die damals hochmoderne Technik der Flussregulierung noch nie habe begeistern können. Als Beispiel für einen Naturraum, in dem die Artenvielfalt im Zuge der Entwässerung zur Ackerlandgewinnung verschwunden sei, nannte er das österreichische Gailtal. An der Gail seien bis zur Regulierung Tausende von Wasservögeln beheimatet gewesen. „Wir haben die Biokomplexität in den Alpenländern platt gemacht“, fasste Prof. Schröder die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte plakativ zusammen und erklärte: „Nun versuchen wir Lösungen zu finden, um die Artenvielfalt wiederherzustellen beziehungsweise zu erhalten.“ Im Hinblick auf diese Zielsetzung wünschte er der Veranstaltung viel Erfolg.
Einführung des Moderators Dr. Georg Bayerle, Bayerischer Rundfunk
Anschließend stellte sich Moderator Dr. Georg Bayerle von der Bergsteigerredaktion des Bayerischen Rundfunks vor und kündigte die drei Expertenvorträge mit anschließender Kurzdiskussion an. Das Hotspot-Projekt „Alpenflusslandschaften“ bezeichnete er als „Öffentlichkeitsbeteiligung der besten Form“. Schließlich könne man nur unter Einbeziehung aller Interessensgruppen der Komplexität der Thematik gerecht werden, betonte Bayerle und motivierte alle Anwesenden sich einzubringen – auch gerne mit kontroversen Meinungen. Das Ziel der heutigen Veranstaltung sei erreicht, „wenn wir zwei bis drei Punkte herausgearbeitet haben, die uns helfen neue Ansätze in oft verfahrenen Situationen zu finden.“ Damit übergab er das Wort an den ersten Fachreferenten.„Flussentwicklung im Spannungsfeld der gesellschaftlichen Ansprüche“ Der Fokus des Vortrags von Claus Kumutat, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), lag auf dem Lebensraum Fluss, welcher auf Grund seiner natürlichen Dynamik und menschlicher Aktivitäten Veränderungen unterliegt. Diese reichen von der Siedlungsentwicklung und Energiegewinnung über Landwirtschaft und Verkehr bis zur Freizeitnutzung. „Die zahlreichen menschlichen Nutzungsinteressen müssen häufig auf engstem Raum zusammenpassen“ so Kumutat. „Vor dem Hintergrund einer nachhaltigen Bewirtschaftung, gilt es zu beachten, dass Flüsse nicht nur dem Abtransport von Wasser dienen, sondern fundamentaler Lebensraum und Verbindungsachsen für die Biodiversität sind“. Im Hinblick auf die drei Aufgabengebiete „Schutz vor Wasser“, „Schutz der Gewässer“ und „Nutzung der Gewässer“ stellte Kumutat konkrete Maßnahmen und Programme des LfU vor.
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Claus Kumutat, Jahrgang 1957, studierte Bauingenieurswesen (Dipl.-Ing.) an der Technischen Hochschule München. Nach beruflichen Stationen im Bayerischen Landesamt für Wasserwirtschaft, dem Wasserwirtschaftsamt München, dem Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen und mehreren Posten im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit ist er seit 2011 Präsident des Bayerischen Landesamtes für Umwelt und leitet die zentrale Fachbehörde für Umwelt- und Naturschutz, Geologie und Wasserwirtschaft in Bayern.
Daueraufgabe Hochwasserschutz
Im Rahmen seines Fachvortrags widmete sich Kumutat der Flussentwicklung im Spannungsfeld gesellschaftlicher Ansprüche und erläuterte zunächst die historische Entwicklung vom 19. Jahrhundert, als man noch Abstand vom wilden Fluss hielt, bis zu den Flussregulierungen und -korrekturen des 20. Jahrhunderts, mit denen man heute umgehen müsse. Die aktuelle Flussentwicklung werde, betonte Kumutat, jedoch von zahlreichen Spannungsfeldern beeinflusst. Dazu gehören vor allem die unterschiedlichen Ziel- und Nutzungskonflikte sowie fehlende Förderanreize und die oft daraus resultierende mangelnde Mitwirkung von Akteuren. Dann widmete er sich der „Daueraufgabe Hochwasserschutz“ und zeigte am Beispiel des Sylvensteinspeichers und seiner Funktion als Rückhaltebecken an der Oberen Isar, dass solche großen Eingriffe notwendig seien, denn: „Der Sylvensteinspeicher hat München und die vorliegenden Gemeinden schon vor zahlreichen Überschwemmungen bewahrt.“Maßnahmen des Aktionsprogramms 2020plus
Im Hinblick auf den Hochwasserschutz stellte Kumutat das Aktionsprogramm 2020plus (kurz: AP 2020plus) vor, das die Handlungsfelder „Technischer Hochwasserschutz“, „Natürlicher Rückhalt“ und „Hochwasservorsorge“ mit dem Kreislauf des Hochwasserrisikomanagements in Verbindung bringt. Zwischen 2008 und 2016 seien im Rahmen dieses wasserbaulichen Infrastrukturprogramms 16 Maßnahmen an Isar, Loisach, Ammer und Lech realisiert worden, darunter Deichrückverlegungen oder die Aktivierung von Altwassern und Auen. Durch Wildbachschutz-Maßnahmen des AP 2020plus seien inzwischen in Bayern 57.500 Einwohner und 5.000 Hektar Fläche von Gefahren wie Muren, die von Wildbächen ausgehen, geschützt, erläuterte Kumutat.Naturnahe Gewässer- und Auenentwicklung
Anschließend wendete sich der Referent noch dem Aspekt „Nutzung der Gewässer“ zu und betonte: „Ohne Wasserkraft wäre der Sprung ins Industriezeitalter nicht möglich gewesen.“ Heute ginge es darum, die Anlagen zu verbessern und zugleich die Durchgängigkeit wiederherzustellen, etwa durch den Rückbau von Wehren oder den Bau von Fischaufstiegshilfen. Darüber hinaus gebe man überall dort, wo es möglich sei, dem Fluss sein Geschiebe zurück. Abschließend ging Kumutat noch auf die von der Wasserwirtschaft und von Fachbüros im Auftrag der Gemeinden erarbeiteten Gewässerentwicklungskonzepte ein – „die Grundlage für weitere Diskussionen und Planungen“. Die Integration von Natura 2000-Zielen in die Bewirtschaftungsplanung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), die einen guten ökologischen und chemischen Zustand der Gewässer bis 2027 fordert, sei die Planungsempfehlung für eine naturnahe Gewässer- und Auenentwicklung. Jedoch bat Kumutat abschließend um Geduld: „Auch wenn wir bis 2027 noch nicht das Paradies auf Erden haben, glaube ich trotzdem daran, dass wir es schaffen, im Sinne der EG-Richtlinien einer nachhaltigen naturnahen Gewässerentwicklung wieder mehr Raum zu lassen, wenn wir am Ball bleiben.“Folien zum Vortrag (PDF, 3,6 MB)Prof. Dr. Ing. Albert Göttle, Präsident des Landesfischereiverbandes:
„Kies und Totholz: Grundbausteine der natürlichen Flussdynamik"
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Eingeschränkter Lebensraum für Fische
In seinem Vortrag nannte Prof. Göttle zunächst einige Einflussfaktoren, die sich negativ auf die Verbreitung, Artenvielfalt und Individuendichte der Fische in Fließgewässern auswirken: Struktur- und Geschiebedefizit, nachlassende Dynamik, Eintiefung, Abkoppelung der Aue sowie die Zerstückelung der Gewässer durch die Häufung von Wasserkraft-Anlagen. Außerdem betonte er: „Es ist ein Unding, dass Bayern das einzige Bundesland ist, in dem es keine gesetzlich vorgeschriebenen Gewässerrandstreifen gibt.“ Für diese Bemerkung erntete er spontanen Applaus. Insgesamt sei die fischökologische Funktionsfähigkeit der Fließgewässer stark beeinträchtigt. Als Kieslaicher benötigten die Fische der Alpenflüsse zudem Kies, um sich fortpflanzen zu können. Fehlende Geschiebeführung, Kolmatierung und Gewässereintiefung reduzierten die Lebensräume jedoch deutlich. „Die Situation muss ganzheitlich verbessert werden“, stellte Prof. Göttle klar.Schlüssel zur Verbesserung: Geschiebemanagement
Als Schlüssel für die Verbesserung der fischökologischen Funktionsfähigkeit nannte der Referent das Geschiebemanagement. Schließlich gebe es an den Alpenflüssen 4.200 Wasserkraftanlagen, die natürliches Baumaterial zur Sohlstabilisierung weitgehend zurückhalten. Eine grundsätzlich mögliche, aber teure Möglichkeit sei die Geschiebeumsetzung, sagte Prof. Göttle und schlug als bessere Alternativen die „Entfesselung“ der Ufer, die Durchgängigkeit von Wildbachsperren, den Rückbau von Gewässerbettfixierungen sowie die Akzeptanz von Uferabbrüchen und Totholz vor. Geschiebezugaben seien wichtig für die Stabilisierung und Anhebung des Sohl-Niveaus und der Wiederherstellung von fischökologischen Schüsselhabitaten.Lösung nur mit allen Akteuren
Abschließend plädierte Prof. Göttle dafür, sich im Sinne einer hydro-morphologischen Aufwertung der Gewässerstruktur von der Aufräummentalität zu verabschieden und für ausreichend Totholznachschub zu sorgen. „Hauptursache für den Totholzmangel sind wir selbst“, erklärte er. Jedoch, so räumte er ein, habe die Toleranz der Unterhaltspflichtigen in den vergangenen zehn bis 15 Jahren zugenommen – und das obwohl Totholz immer auch für Konfliktstoff sorge, vor allem bei Flößern oder unter Aspekten des Hochwasserschutzes. Ein vorbildliches Beispiel einer Totholzverankerung gebe es an der Isar, weitere Tipps lieferten die Broschüren und die Berater des LFV, sagte Prof. Göttle und fügte hinzu: „Wir müssen den Gewässern die Natürlichkeit zurückgeben, die sie nicht mehr haben. Aber der Lösung kommen wir nur gemeinsam mit allen Akteuren näher.“Dr. Bernhard Gum, stv. Leiter der Fachberatung für Fischerei des Bezirks Oberbayern:
„Fische der Alpenflüsse am Beispiel von Ammer und oberer Isar"
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Einige Leitarten auf „Roter Liste“
Bachforelle, Äsche, Nase, Huchen und einige Kleinfischarten wie Elritze oder Koppe seien wichtige Leitarten in Ammer und Isar, erklärte Dr. Gum und stellte die jeweiligen Charakteristika und Gefährdungsursachen vor. Gerade an der Ammer, die man als Äschenregion bezeichnen könne, gebe es in struktureller Hinsicht „tolle Abschnitte“. Das schwarmartige Auftreten der Äsche mache sie jedoch anfällig, vor allem für die fischfressenden Vögel (Kormoran, Gänsesäger). Äsche, Nase und auch Huchen stünden seit 2003 in Bayern auf der „Roten Liste, die Äsche und der Huchen seien seit 2009 bundesweit als “stark gefährdet“ gelistet. Eine Erholung der seit den 1980er-Jahren eingebrochenen Bestände insbesondere von Nase und Äsche, sei kaum feststellbar. Aber auch der Verlust großräumig zusammenhängender freifließender Flussläufe sei eine der Hauptursachen für die geringe Fischbestandsdichte, betonte Dr. Gum. So benötige beispielsweise der Huchen größere Flussgebiete mit hoher Breiten- und Tiefenvarianz und Totholzstrukturen als Einstände für seine Jungfische.Niedrige Bestände trotz Artenvielfalt
Dann widmete sich Dr. Gum der Bewertung des fischbiologischen Zustands nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) bis 2015. Diese bescheinige der Ammer im Abschnitt vom Ammersee bis Oberammergau und der Oberen Isar einen „guten“ bis „mäßigen“ fischbiologischen Zustand, weil die meisten der insgesamt 16 Arten nach WRRL-Referenz nachgewiesen wurden. Der nach Referenz zu erwartende Anteil von 20 Prozent bei der Äsche relativiere sich jedoch bei der Betrachtung des tatsächlichen Fangs von 1,3 Prozent, erläuterte der Referent. Somit ergäbe sich eine Abweichung zur Referenz von über 90 Prozent. Ähnlich verhalte es sich für Bachforelle und Nase. Dagegen sei die Kleinfischart Schneider in der Ammer mit einem Anteil von 56,7 Prozent am Gesamtfang überproportional stark vertreten. Da der Schneider an der Messstelle flussauf Weilheim jedoch nur einen Anteil von 2 Prozent in der Referenz aufweise, ergibt sich daraus auch hier eine entsprechend große Abweichung. Aus diesen Gründen dürfe in der Gesamtbetrachtung die durchaus vorhandene typische Artenvielfalt nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bestand der Leitarten in den Alpenflüssen vielfach sehr niedrig sei.Positive Entwicklung durch Renaturierung
Als Hauptgründe für das niedrige Bestandsniveau in der Äschenregion der Alpenflüsse nannte Dr. Gum gestörte Räuber-Beute-Beziehungen, Beeinträchtigungen wie Defizite bei Mindestwasser, Geschiebehaushalt und Durchgängigkeit von Flussabschnitten sowie Fischart-spezifische Ursachen wie das Bachforellensterben. Die Bestände von Äsche und Nase könnten sich unter anderem aufgrund des mittlerweile ganzjährig herrschenden Fraßdrucks durch Kormorane und Gänsesäger nicht erholen. An der oberen Isar bei Wallgau mache auch das zeitweise Trockenfallen des Flusses Probleme. Jedoch wirkten sich die umgesetzten Renaturierungs-Maßnahmen der vergangenen Jahre bereits positiv auf die Bestände aus, betonte der Fisch-Experte abschließend. Als Beispiele nannte er die Herstellung der Durchgängigkeit an der Ammer durch Sohlgleiten und die Anbindung von Seitengewässern sowie die Förderung einer naturnahen Gewässer- und Geschiebedynamik an der Isar. Wie seine Vorredner betonte auch Dr. Gum in diesem Zusammenhang: „Manch positive Entwicklung braucht ein paar Jahre Zeit.“Nach dem jeweiligen Redebeitrag forderte Moderator Dr. Georg Bayerle das Auditorium zu Wortmeldungen auf, was für ergänzende Statements und Fragen gerne angenommen wurde.
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Die erste Wortmeldung am Anschluss an den Vortrag von Claus Kumutat kam von Dr. Eduard Belotti aus Augsburg, der sich nach den Zukunftsinvestitionen der bayerischen Staatsregierung hinsichtlich einer umweltfreundlichen Ertüchtigung von Wasserkraftanlagen erkundigte. Der Präsident des LFU antwortete, dass beispielsweise die Einrichtung von Umgehungen bei vorhandenen Querwerken vorstellbar sei. Auf die Frage des Moderators Dr. Bayerle, welche Faktoren von Bedeutung seien, um den Zustand der Flüsse zu verbessern, nannte Kumutat zum einen die Mitwirkung von Kommunen sowie die Bereitstellung von Flächen am Fluss.
Nach dem Redebeitrag von Prof. Göttle meldete sich Günther Groß von der Lechallianz zu Wort und stellte zum Thema „Durchgängigkeit“ fest, dass viele Fischaufstiegshilfen oft nur in einer Richtung zu benutzen seien. Sein Statement lautete: „Es passiert nichts oder zu wenig.“ Auf die Feststellung von Prof. Albert Göttle, dass der Landesfischereiverband Bayern rund eine Million Euro aufbringe, um etwa Durchgängigkeit zu verbessern, betonte Dr. Thomas Henschel vom LfU, dass die Bayerische Staatsregierung zudem 40 Millionen Euro pro Jahr für die Verbesserung der Lebensräume rund um Wasserkraftanlagen zur Verfügung stelle. Nach dem Vortrag von Dr. Bernhard Gum erkundigte sich Karl Probst vom Verein „Rettet die Isar“ beim Experten, ob es Untersuchungen zum Einfluss des Freizeit- und Bootbetriebs auf die Fischbestände gebe. Dr. Gum räumte ein, dass massive Störungen der Bestände, insbesondere in der Laichzeit, anzunehmen seien. Für genauere Aussagen müsse man jedoch fluss- und artspezifische Beobachtungen anstellen.