Zu jedem Namen ein Gesicht
München, den Datum: 21.08.2024Der Bezirk Oberbayern baut Sammlung zu den Opfern der nationalsozialistischen Verbrechen an oberbayerischen Kliniken auf und bittet um Mithilfe.
Mehr als 4000 Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalten Eglfing-Haar und Gabersee wurden während des Nationalsozialismus ermordet. „Euthanasie“ war das verharmlosende Wort für dieses Mordprogramm. Das Archiv des Bezirks Oberbayern möchte das Wissen über die Opfer sichern und über medizinische Beschreibungen hinaus ein Stück ihrer Persönlichkeit bewahren. Dabei können Angehörige einen wichtigen Beitrag leisten.Das Archiv des Bezirks Oberbayern – angesiedelt in der Bezirksverwaltung in der Münchner Prinzregentenstraße – verwahrt Dokumente von den Anfängen des 19. Jahrhunderts bis heute. Ein Schwerpunkt sind Patientenakten aus den Vorgängerinstitutionen des Bezirks, darunter auch die der „Euthanasie-Opfer“. Der Bezirk arbeitet diesen Aspekt seiner Geschichte auf und möchte die Erinnerung an die ermordeten Menschen wachhalten. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen ist zudem ein wichtiger Baustein für politische Bildung. „Wir wollen dabei nicht nur abstrakte Opferzahlen darstellen“, so Archivleiter Nikolaus Braun. Auch die Krankenakten der Opfer geben nur die Sicht aus dem Blickwinkel der Ärzte wieder. „Hinter jeder Diagnose und Nummer steht ein individuelles, einzigartiges und einmaliges Schicksal. Das wollen wir zeigen“, sagt Braun. Dazu gehörten eben auch das private Umfeld, Familie, Freunde, Arbeit, Freizeit und persönliche Interessen.
Nachfahren auf der Suche nach dem Schicksal von Richard Hamburger
„Wir versuchen auf diese Weise, das Gegenteil der entmenschlichenden NS-Politik zu bewirken“, sagt Verena Rapolder, Brauns Stellvertreterin. Der Bezirk Oberbayern übernehme die Verantwortung dafür, dass – unabhängig von Zahlen und Statistiken – die Menschen als solche nicht vergessen werden. Ein Beispiel dafür sei die Geschichte von Richard Hamburger. Er wurde 1931 in Würzburg in einer jüdischen Familie geboren, die während des Nationalsozialismus in die USA geflohen ist. Allerdings ohne Richard, der wegen seiner Epilepsie nicht ausreisen durfte. Der Junge kam 1940 aus einer Pflegeeinrichtung in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar und von dort nach Hartheim bei Linz, wo er ermordet wurde. Das sind die Fakten, die aus Archivdokumenten recherchiert werden können. Ein lebendiges Bild vor Augen bewirkt aber erst ein Foto, das über die Enkelin von Richards Bruder zum Bezirk gelangte. Es zeigt den kleinen Richard mit fünf oder sechs Jahren auf den Schultern seines Bruders Walter sitzend. Wenig später wird er aus seiner Familie gerissen.
„Solche persönlichen Zeugnisse bekommen wir nur über die Angehörigen“, so Rapolder, „wenn diese wie bei Richard Hamburger nach Familienmitgliedern suchen und sich bei uns melden.“ Auf diese Mithilfe von außen ist das Archiv beim Aufbau seiner Sammlung zu den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen an oberbayerischen Kliniken angewiesen. Und die Zeit drängt, es gibt nicht mehr viele Menschen, die Fotos und Dokumente zuordnen können.
Angehörige können sich beim Bezirk melden
Der Bezirk Oberbayern wendet sich daher an Angehörige von „Euthanasie“-Opfern, Fotos und Dokumente wie Briefe oder Familienchroniken zu teilen. Das ist möglich per E-Mail an archiv@bezirk-oberbayern.de oder telefonisch unter 089 2198-31200. Die eingereichten Unterlagen bleiben – auch wenn sie beim Bezirk digital oder als Original archiviert werden – vollständig im Eigentum der Angehörigen. Die Verwendung zu Forschungszwecken oder zur Erstellung von Opferbiografien wird mit diesen individuell vereinbart.
Weitere Informationen gibt es unter www.bezirk-oberbayern.de/Bezirksarchiv.
Bildmaterial zum Download
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Richard Hamburger (oben)
geb. am 3. Januar 1931
deportiert am 20. September 1940 nach HartheimFoto: privat
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