„Was hilft, ist reden, reden und reden!“
München, den Datum: 29.08.2022Dank des Krisendienstes Psychiatrie Oberbayern neuen Lebensmut gewonnen
0800 / 655 3000: Der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern unterstützt Menschen in seelischen Notlagen rund um die Uhr. Für Christine A. aus Ostoberbayern (Name geändert) war es lebensrettend, dass der Krisendienst zur rechten Zeit an Ort und Stelle war. Im Interview erzählt sie, wie sie mit Hilfe des Krisendienstes eine schwere seelische Notlage überwunden und wieder im Leben Fuß gefasst hat.
Frau A., vor einiger Zeit waren Sie in einer schweren seelischen Krise. Was war damals los und was war der Auslöser?Christine A.: Meine psychische Krise dauerte schon etwas länger, ich habe aber nie die Kraft gehabt, daran etwas zu ändern. Im Nachhinein muss ich zugeben, haben mich Situationen in der Familie mit meinen Angehörigen sehr belastet. Auch die beruflichen Anforderungen auf unserem Hof wurden immer mehr und für mich zunehmend zur Belastung. Das hatte zur Folge, dass ich meine Lage als sehr ausweglos empfunden habe.
Waren Sie suizidgefährdet?
Ja, ich hatte öfters Gedanken, wie es wäre, wenn endlich Ruhe in meinem Kopf wäre. Sei es, dass ich gedacht habe, ich nehme mir einen Strick. Sei es, dass mir – wenn ich mit dem Auto unterwegs war – die Straßenbäume in den Sinn kamen. Aber die Sicherheit, die ein Auto bietet, war mir dann doch zu hoch. Als Pflegefall zu enden, das wollte ich auf gar keinen Fall.
Die Hilfe kam offenbar in letzter Minute. Wer aus Ihrem Umfeld hat erkannt, dass Sie in einer lebensbedrohenden Krise sind und den Krisendienst alarmiert?
Ein stiller Hilfeschrei wurde von einem – ich nenne es gerne – familieninternen Engel als der wahrgenommen, was er war. Ich habe es später so empfunden, als ob bei mir die Reißleine wie bei einem Fallschirm gezogen wurde. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich schon lange wie eine Zahnpastatube gefühlt, an der noch gedrückt wird, obwohl sie schon leer ist.
Wie ging es danach weiter?
Ohne mein Wissen hat meine Familie im Hintergrund mit dem Krisendienst Kontakt aufgenommen. Der kam dann nach kurzer Info am Telefon zu mir nach Hause. Die beiden Mitarbeiter waren sehr einfühlsam und hilfsbereit, so dass ich nach einigem Zögern Vertrauen aufbauen konnte und endlich die Hilfe angenommen habe, die ich in meiner Lage so dringend gebraucht habe. Das hat mich gerettet.
Gab es einen stationären Klinikaufenthalt? Eine längerfristige Therapie?
Christine A. Einen Klinikaufenthalt wollte ich nicht. Aber über den Krisendienst habe ich Hilfe in der Tagesklinik in Altötting bekommen. Ich war dort bei einem Arzt über einen längeren Zeitraum in Behandlung. Über ein Jahr habe ich Medikamente genommen, von denen ich aber wieder weg bin. Mehrere Versuche einen ambulanten Therapeuten zu finden, schlugen leider fehl. Zu meinem Glück konnte ich aber in der Diakonie Südostoberbayern bei dem Ersthelfer weiter Gespräche führen – zuerst wöchentlich und bis heute so alle drei Monate.
Seither ist einige Zeit vergangen. Wie geht es Ihnen heute?
Die schwere Zeit ist nicht vergessen. Schlimme Sätze wie ,Stell dich nicht so an‘ oder ,Das wird schon wieder‘ oder ,Das war schon immer so, das änderst du auch nicht‘, die gehen so tief in die Seele und hinterlassen tiefe Stiche und Spuren. Das hat mich damals sehr getroffen. Heute gibt es immer wieder graue Tage, aber keine schwarzen mehr. Denn ich vergleiche meine Depression mit Herpes, diese Krankheit bekommt man auch nicht mehr ganz los.
Was haben Sie aus Ihrer Krise gelernt und möchten Sie diese Erfahrungen als Tipp an Menschen in Krisen weitergeben?
Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke, wenn man sich in einer Krise Hilfe holt. Deshalb ist mein wichtigster Tipp: Ruft den Krisendienst an, wenn Ihr Hilfe braucht. Insgesamt habe ich viel über mich gelernt – vor allem das Nein-Sagen, was am Anfang auch für meine Familie ungewohnt war, da ich immer und überall eingesprungen bin, wenn etwas im Argen lag. Das Lernen hört niemals auf, und man muss den Mut aufbringen, etwas zu verändern. Dass es für Außenstehende oft schwierig ist, eine Veränderung zu akzeptieren, ist auch klar. Aber der Rückhalt in der Familie ist das Wichtigste – wobei ich nie wie ein rohes Ei behandelt werden wollte. Es ist nicht leicht, offen mit einer Depression umzugehen, weil diese Krankheit von vielen noch als Schwäche ausgelegt wird. Darum: Was wirklich hilft, ist reden, reden und reden!
Der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern gehört zum bayernweiten Netzwerk Krisendienste Bayern. Unter der einheitlichen Rufnummer 0800 / 655 3000 werden die Anrufenden zu der für ihren Wohnort zuständigen Leitstelle geroutet.
2021 hatte der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern rund 30 000 Telefonkontakte. Die mobilen Krisenteams haben fast 2 000 Vor-Ort-Einsätze durchgeführt.
Der Bezirk Oberbayern finanziert den Krisendienst Psychiatrie mit rund 14,3 Millionen Euro pro Jahr; dazu steuert der Freistaat Bayern für die Kosten der Leitstelle rund 3,1 Millionen Euro bei.