Wie das Alphorn nach Oberbayern kam
Ein populäres Instrument als Symbol der Alpen
Ob es nun die Schweizer oder die Allgäuer waren, die das Alphorn erfunden haben, lässt sich heute nicht mehr eindeutig nachweisen. Holztrompeten und Rinderhörner wurden in vielen Kulturen, in denen Hirten in Gebirgsregionen und Hochtälern Viehherden betreuten, als Signalgeräte verwendet.
Im Allgäu und in der benachbarten Schweiz gingen vornehmlich Männer und Burschen als Senner auf die Alpe, daher spricht man in diesen Gegenden von den sogenannten Männeralpen, während in Oberbayern, der Steiermark und dem Salzburger Land, wo hauptsächlich Frauen das Vieh auf den Almen betreuten, von den Weiberalpen die Rede ist. So wurde auf letzteren, sogenannten Weiberalpen eher der Dirndlg’sang mit seinen Jodlern und Juchezern gepflegt, um
sich über größere Entfernungen miteinander zu verständigen. Auf den Männeralpen hingegen verwendeten die Hirten zu diesem Zweck das Alphorn, das sie auch selbst bauten. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass das Alphorn schon vor über 400 Jahren im Allgäu und in der Schweiz beheimatet war. Allerdings geriet es mit der Zeit mehr und mehr in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert, als die Alpen zum Symbol idyllischer Landschaft hochstilisiert wurden, erfuhr das Alphorn eine Renaissance. In der Schweiz war es der eidgenössische Jodelclub, der das Alphorn bekannt und beliebt gemacht hat. Dort wurde das Alphorn sogar zum Nationalsymbol. Im Allgäu hat sich der damalige Volksmusikpfleger des Bezirks Schwaben, Michael Bredl, sehr für die Wiederbelebung des traditionellen Alphornblasens eingesetzt. Dabei war es ihm sehr wichtig, das Alphorn stilgerecht neu zu beleben. So schreibt er in einem Artikel der Sänger- und Musikantenzeitung aus dem Jahr 1978:
„In den zurückliegenden Jahren ist die Anzahl der Alphornbläser derart stark angestiegen,
dass man schon fast von einem Überangebot sprechen kann, welches ohne Zweifel die Gefahr einer Vermassung in sich birgt. So allmählich wird man das ungute Gefühl nicht mehr los, dass sich das Alphornblasen aus einer Brauchtumsangelegenheit zu einer attraktiven Modesache entwickelt. […] Was zu einem beständigen Brauchtum reifen soll, muss in der Stille wachsen und bedächtig angepackt werden.“
In Oberbayern trat das Alphorn 1948 in Erscheinung, als beim Aschauer Pfingstsingen der Schweizer Alphornbläser Traugott Baumgartner zusammen mit dem Jodelclub Weissenstein auftrat. Franz Jell, ein Rechenmacher aus Bernau am Chiemsee, war damals unter den Zuhörern. Er war vom Alphornspiel Baumgartners so begeistert, dass er diesen zu sich nach Hause einlud, um mehr über das Spiel und den Bau des Alphorns zu erfahren. Jell, selbst passionierte Musikant, versuchte sich 1959 das erste Mal am Bau eines Alphorns. Mithilfe von vier jungen Bläsern baute er im selben Jahr
noch vier weitere Alphörner. Diese gründeten daraufhin die Aschauer Alphornbläser, die an Silvester 1959 ihren ersten Auftritt in der Pfarrkirche Bernau hatten. Dieses Datum gilt seitdem als die Geburtsstunde des gegenwärtigen Alphornspiels in Oberbayern. Franz Jell initiierte in den darauffolgenden Jahren die Gründung vieler Alphornbläsergruppen im Chiemgau, die er auch mit Instrumenten versorgte. Sein Engagement wurde mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gewürdigt. Wohl unabhängig von Jells Wirken entstanden auch in Teisendorf, Bayrischzell und Agatharied kleine Gruppen von Alphornbläsern. Bereits 1957 bildeten sich aus der Teisendorfer Tanzlmusi heraus die Teisendorfer Alphornbläser, angeführt von den Brüdern Sigi und Josef Ramstötter. Durch eine Sendung des Bayerischen Rundfunks über den Alphornbau wurden 1959 Hans Thaler aus Bayrischzell und Franz Mayer aus Agatharied auf dieses Instrument aufmerksam. Beide begannen daraufhin selbst mit dem Bau von Alphörnern und gründeten wenig später die Bayrischzeller beziehungsweise die Agatharieder Alphornbläser. Hans Thaler fertigt bis heute Alphörner. In der Radiosendung Das Rucksackradio auf Bayern 2 erzählte er in einem Beitrag von Andreas Estner, was dabei zu beachten ist. Demnach wird das Alphorn aus einem krummen, an einem Hang gewachsenen Fichtenstamm gebaut. Dieser wird als junges Bäumchen durch Schneedruck oder Schneerutsch nach unten gebogen.
Wenn er dann wächst, stellter sich wieder auf, die Krümmung aber bleibt bestehen. Später wird daraus der Schalltrichter herausgearbeitet. Der Fichtenstamm muss auf einer
Höhe von mindestens 1500 Metern gewachsen sein, denn nur dann sind laut Thaler die Jahresringe eng genug beieinander und das Holz fest
genug. Zuerst wird der Stamm am Kern getrennt und etwa fünf Jahre mit Rinde getrocknet – damit keine Hitzerisse entstehen, die die Qualität
des Instruments später beeinträchtigen könnten. Nach der Trocknung beginnt der Instrumentenbauer, den Stamm mit Hohleisen, Rundhobel und Schnitzmesser auszuhöhlen, bis die Wandstärke nur noch sieben Millimeter beträgt.
Zum Schluss werden die beiden ausgehöhlten Stammhälften wieder zusammengesetzt. Das Mundstück wird traditionell aus Kirsch- Birnen- oder Zwetschgenholz gefertigt. Die Länge des Alphorns bestimmt den Grundton des Instruments. Hierzulande trifft man am häufigsten auf Alphörner in F (ungefähr 3,60 Meter lang). Dabei können auf dem Instrument nur Töne erzeugt werden, die in der Naturtonreihe vorkommen. Da es für den Alphornbau keine Berufsausbildung gibt, sind es meist musikbegeisterte Handwerker aus der Holzverarbeitung, die sich diese Fertigkeiten selbst aneignen. Deshalb sind die Herstellungsverfahren weniger normiert als in älteren Gewerben des Instrumentenbaus, wie etwa beim Geigenbau, und es gibt große Unterschiede bei Maßen, Materialien und Herstellungstechniken.
Für die Pflege des Alphornspiels in Oberbayern setzt sich auch das Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr in Garmisch-Partenkirchen ein. Bei Konzerten und Auslandsreisen des Orchesters ist das Alphornensemble ein fester Bestandteil des Programms. Die Alphorngruppe der Garmischer gilt als Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Bundeswehr. Kein anderes Musikkorps hat Alphörner in seiner Besetzung.