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Was für ein Theater! – November

Ein heller Eingangsbereich mit einer massiven Holztür. Die drei Garderoben bestehen aus schwarzen metallischen Stangen. Von der Decke hängen drei weiße Kugelleuchten.
Foto: Michael Heinrich © Bezirk Oberbayern

„Jetzt beeil‘ dich doch, die Vorstellung geht gleich los!“ – „Ich muss noch schnell meinen Mantel aufhängen. Wo ist denn bloß die Garderobe?“ Tausendfach spielen sich in Theaterfoyers die immer gleichen Szenen ab. Wie die Theaterbühne sind Foyer und Garderobe von jeher Orte kleiner und großer Dramen: von der hektischen Suche nach den „ganz sicher“ eingepackten Tickets bis zum mühsam unterdrückten Streit. Das „Kleine Theater“ in Haar ist da keine Ausnahme. Auch hier mischen sich vor der Vorstellung Aufregung und Vorfreude. Ein Theater wie jedes andere – und doch auch wieder nicht.

Der Schlusspunkt wird zum Neuanfang

Die meisten, die hierherkommen, wissen, dass sie sich an einem ganz besonderen Ort befinden. Gegründet wurde das heutige Kleine Theater 1912 als „Gesellschaftshaus“ für die damalige Heil- und Pflegeanstalt Haar, einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen. In der Anstalt lebten bis zu 900 Patientinnen und Patienten samt Klinikpersonal. Das Gesellschaftshaus diente als Ort für Veranstaltungen, für Weihnachts- und Faschingsfeiern bis hin zu Theateraufführungen. Das muntere Treiben kam in den 1930er- Jahren jedoch zum Erliegen, und mit Kriegsbeginn brachen für das Gebäude wechselvolle Zeiten an. Erst wurde es Not-Krankenhaus, dann Apotheke und schließlich ein Deckenlager.

Ein renoviertes Herrenhaus mit vier massiven hellen Holztüren. Im zweiten Stock haben die Fenster Rundbögen. Im unteren Stock sind die Fenster vertikal schmal.
Foto: Michael Heinrich © Bezirk Oberbayern

Nach dem Krieg lag das Gebäude im Dornröschenschlaf, bis die Klinik in den 1950er-Jahren die Idee hatte, dort ein Kino für Patienten und Belegschaft einzurichten. Der Erfolg war so groß, dass der Saal regelmäßig aus allen Nähten platzte. Erst das Fernsehen machte dem Kinobetrieb 1971 ein Ende. Der Schlusspunkt wurde zum Neuanfang: Die Klinikbetreiber trafen die Entscheidung, hier wieder eine Bühne einzurichten. Unter dem neuen Namen „Kleines Theater“ bereichert das Haus seither das Kulturleben im Osten von München. Seit 2013 betreibt das kbo-Sozialpsychiatrische Zentrum die Einrichtung, derzeit mit Matthias Riedel-Rüppel als Leiter. Dem studierten Musiker ist es gelungen, das Kleine Theater zu einem kulturellen Anziehungspunkt für die Region zu machen – mit inklusivem Anspruch. So wechselt sich im Programm Kabarett mit Volkstheater, Salongesprächen, Kleinkunst, Klassik und Aufführungen von Menschen mit und ohne Behinderung ab.

Mobile Garderobe 

Zum Erfolg beigetragen hat auch die Tatsache, dass der Bezirk Oberbayern als Eigentümer die Immobilie ab 2003 aufwändig sanieren ließ. Dabei wurde der gesamte Zuschauerraum unterkellert, um Platz für Lager, Technik und neue Sanitäranlagen zu schaffen. Das Theater bekam eine moderne Beleuchtungs- und Tontechnik, neue Heizungs-, Sanitär- und Lüftungsanlagen sowie Vorrichtungen für den Brandschutz. Bodenbeläge, Wände und die Fassade wurden denkmalgerecht erneuert. Hinzu kamen eine komplett neue Bestuhlung und Deckenleuchten, rekonstruiert nach den Originallampen aus der Jugendstilzeit. Auch außen hat das Haus hinzugewonnen: Der angrenzende Garten wird seither für Vorstellungspausen und Freiluft-Veranstaltungen genutzt.


So umfangreich die Umbauarbeiten waren, musste doch 2019 noch einmal nachgebessert werden. Um neuen Brandschutz-Vorschriften zu genügen, wurde die Garderobe in einen Nebenraum verlegt und erneuert. Damit der Raum auch künftig für andere Zwecke zur Verfügung steht, wurde kurzerhand eine mobile Garderobe angeschafft, die sich bei Bedarf wie eine Schubkarre abtransportieren lässt. Was wieder einmal zu der Frage führen dürfte: „Wo ist denn bloß die Garderobe?“