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Ein Haus für alle Fälle - September

Ein langer heller Gang. Links besteht die ganze Wand aus einer Fensterfront. In der Mitte hängen runde Kugelleuchten.
Foto: Michael Heinrich © Bezirk Oberbayern

Wer „Haus 4“ auf dem Gelände des kbo-Isar-AmperKlinikums München-Ost betritt, bewegt sich zwischen Vergangenheit und Zukunft. Ein verglaster Flur empfängt die Besucherinnen und Besucher. Er führt an der Längsseite des historischen Gebäudes entlang. Durch die Fenster fällt der Blick auf den Turm der Jugendstil-Kirche „St. Raphael“ – einst Teil der früheren Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar. Davor steht ein niedriger Neubau mit freundlicher orange-grauer Fassade, der Stationen für Allgemeinpsychiatrie und die Behandlung von Suchtkranken enthält.

Sinnbild für den Wandel

Die Art, wie hier Alt und Neu aufeinanderprallen, ist ein Sinnbild für den Wandel, in dem sich die psychiatrische Versorgung und das kbo-Klinikum in Haar seit vielen Jahren befinden. Die Großklinik, die einst ganz Oberbayern versorgte, hat durch Dezentralisierung und Regionalisierung deutlich abgespeckt. Denn, so lautet die Maxime: Die Psychiatrie soll zu den Menschen kommen – und nicht umgekehrt. Von den vielen Häusern, in denen in Hochzeiten bis zu 3 000 Patientinnen und Patienten behandelt wurden, ist nur ein Teil geblieben. Heute gibt es im kbo-Klinikum gerade mal noch 1 020 Betten und 63 tagesklinische Plätze. Die einen sind für psychisch Erkrankte aus der Region gedacht, bei anderen handelt es sich um spezialisierte Einrichtungen für einen bestimmten Patientenkreis – inklusive rund 370 Betten für die forensische Medizin. Und immer wieder aufs Neue wird überprüft, ob das Angebot mit den Anforderungen einer modernen Psychiatrie übereinstimmt.

Ein großes Haus mit spitzen Giebel. Die Fenster sind groß mit roten Holzgittern. Vor dem Haus ist ein Fahrradstellplatz.
Foto: Michael Heinrich © Bezirk Oberbayern


Flexibilität lautet das Zauberwort. Haus 4 bildet da keine Ausnahme. Nachdem es lange Zeit als Ambulanz diente, ist es bei der umfassenden Renovierung im Jahr 2019 zum „Multifunktions-Haus“ umgewandelt worden. In den beiden großen Sälen im Erdgeschoss, früher Schlafsäle, finden nun Vorträge, Fortbildungen und Symposien statt. In einem Saal lässt eine mobile Trennwand auch kleinere Veranstaltungen zu. Die Räume im übrigen Haus können ebenfalls flexibel genutzt werden: für Therapie ebenso wie für Besprechungen, Gruppenarbeit oder als Büros. Auch ein „Skills Lab“ wurde eingerichtet: eine Übungsstation, in der sich Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte unter realistischen Bedingungen fortbilden.

Vom Zwitterwesen zum Zukunftsmodell

Damit das Haus den neuen Anforderungen gerecht wird, waren einige Umbauten nötig. So wurde die Veranda des Jugendstil-Pavillons mit einem verglasten Flur versehen, über den man die beiden Säle im Erdgeschoss betritt. Eine Rampe auf der Südseite sorgt dafür, dass man das Gebäude barrierefrei erreichen kann. Das Dachgeschoss erhielt eine Wärmedämmung, eine Außentreppe sowie zusätzliche Ausgänge dienen als Flucht- und Rettungswege. Über den Neuerungen wurde der Denkmalschutz nicht vergessen. So blieb der ursprüngliche Grundriss des Gebäudes weitgehend erhalten, ebenso die historischen Kastenfenster an der Nord- und Ostfassade erhalten. Alte Türen und das Treppenhaus ins Dachgeschoss wurden denkmalgerecht restauriert.


Nichts erinnert mehr daran, dass Haus 4 viele Jahrzehnte lang ein Zwitterwesen war. Seit den 1970er-Jahren war es an einen schmucklosen Betonbau angedockt, der ebenso wie das berüchtigte „Hochhaus“ am Ende für eine überkommene Psychiatrie stand. Beide Gebäude sind Geschichte, sie wurden 2014 abgerissen und teilweise durch Neubauten ersetzt. Haus 4 darf nun wieder allein stehen: als Zeichen für einen Neuanfang, der die Vergangenheit nicht leugnet und gleichzeitig Raum lässt für alles, was die Zukunft bringt.