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Von China nach Oberbayern - November

Eine traditionelle chinesische rot lackierte und mit Drachen verzierte Laute, "Pipa" genannt, liegt auf einem mit Notenblättern bedeckten Tisch.
Von China nach Oberbayern: Eine lange Reise hat die »Pipa«, eine traditionelle chinesische Laute mit vier Saiten, hinter sich. (© Gerhard Nixdorf)

„Meine Familie hat mich an den Rand der Welt verheiratet / weit weg in das fremde Land des Wusun-Königs. / Eine Kuppelhütte ist meine Kammer, der Filz meine Wände, / Fleisch ist mein Essen, fermentierte Milch mein Getränk. / Ich lebe hier, ich sehne mich nach meinem Land und mein Herz schmerzt.“ So klagt in einem Gedicht die chinesische Prinzessin Liu Xiun (123-101 v. Chr.), die in der Han-Zeit an einen Nomadenkönig in Xinjiang verheiratet wurde – über 4.000 Kilometer von ihrer Heimatstadt Yangzhou entfernt. Die Legende behauptet, dass für sie die traditionelle chinesische Laute „Pipa“ erfunden wurde – damit sie auf ihrem langen Ritt nach Xinjiang Musik machen konnte, um ihr Heimweh zu lindern.

Wie die Pipa auf unserem Kalenderbild ihren Weg nach Oberbayern fand, ist nicht geklärt. Sicher ist nur, dass sie der Garchinger Herbert Grünwald – ein passionierter Sammler von Instrumenten aus aller Welt – bei einem Verkauf in München-Sendling ergatterte. Nach seinem Tod im Jahr 2012 kam sie ins Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern in Bruckmühl, das die „Sammlung Herbert Grünwald“ aufgekauft hatte. Heute bereichert die Pipa den umfangreichen Bestand des Archivs. Sie ist Zeugnis dafür, dass Kulturen seit jeher in Bewegung sind. Und dafür, dass Kunst und Kultur Brückenbauer sein können zwischen Menschen unterschiedlicher Lebenswelten und Herkunft: ein zentrales Anliegen des „Zentrums für Volksmusik, Literatur und Popularmusik“, wie das Volksmusikarchiv seit vergangenem Jahr heißt. „Wir wollen Räume schaffen für ein offenes und kreatives Miteinander von Tradition und Innovation“, sagt Katharina Baur, die Leiterin des Zentrums. Volksmusik und Popularmusik sollen, so Baurs Wunsch, zwischen tradierter Musik und neuen musikalischen Strömungen vermitteln und interkulturelle Prozesse in Gang setzen. Als drittes Standbein kommt nun die oberbayerische Literatur hinzu.

Zusammen mit ihrem Team will Baur in Bruckmühl ein neues kulturelles Zentrum für Oberbayern aufbauen. Zu diesem Zweck muss in den kommenden Jahren einiges geschehen. Das ehemalige Krankenhaus von Bruckmühl, in dem das Zentrum für Volksmusik, Literatur und Popularmusik untergebracht ist, wird samt dazugekauften Nebengebäuden generalsaniert. Entstehen soll ein Komplex mit Archiv, Bibliothek, Proben-, Veranstaltungs- und Ausstellungsräumen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Neuorganisation des Archivs. Das Material wird nicht nur gesichtet, sondern auch digital erfasst. Schließlich gilt es, die Lagerfläche möglichst klein zu halten und gleichzeitig die historischen Exponate der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine „Investition in die Zukunft“ nennt Leiterin Katharina Baur die kostspielige Umgestaltung der Einrichtung. Wichtige Schwerpunkte des Zentrums werden die Hilfe und Beratung für Musizierende unterschiedlichster Couleur sein – von der Volksmusikerin bis zur Hip-Hop-Gruppe – und natürlich Veranstaltungen, die Lust auf Musik und Literatur machen: Konzerte, Hoagartn, Lesungen und Workshops.

Vieles davon kann momentan wegen der Umbauarbeiten nur an anderen Orten stattfinden, soll sich in Zukunft aber schwerpunktmäßig im neu gestalteten Zentrum in Bruckmühl abspielen. Damit dort Musik- und Literaturbegeisterte aus ganz Oberbayern einen neuen Anlaufpunkt finden – und dann vielleicht auch einmal dem Spiel einer Pipa lauschen, deren dicke Saiten „prasseln wie Regenschauer“ und deren dünne Saiten „seufzen wie Liebesgeflüster“, wie es in einem chinesischen Gedicht heißt. Ein Erlebnis wäre es allemal.