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Im Gewandhaus - Oktober

Ein einzelner traditioneller brauner Haferlschuh, in der Vogelperspektive fotografiert, steht auf einem Weg aus Pflasterstein.
Schuh sucht Partner: historischer Haferlschuh aus dem Bestand des Zentrums für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern (© Dirck Tacke)

Drohend hängen dunkle Wolken über dem Berg. Was alle befürchtet haben, tritt ein: Ein Wolkenbruch geht nieder, der die Wandergruppe eiskalt erwischt. Innerhalb kürzester Zeit ist sie bis auf die Haut durchnässt. Und dann geben auch noch die Bergschuhe eines Mitwanderers ihren Geist auf. Die Gummisohlen lösen sich komplett ab, bis nur noch das Innenleder übrig ist und er quasi in Mokassins den Weg hinunter ins Tal humpeln muss. Zurück in München finden die Bergschuhe in einem Mülleimer am Ostbahnhof ihre letzte Ruhe.

Vielleicht ist es dem Gegenstück des alten Haferlschuhs aus dem „Zentrum für Trachtengewand“ des Bezirks Oberbayern ähnlich ergangen? Weggeworfen, weil sein Besitzer ihn nicht mehr brauchen konnte? Fakt ist, dass auf dem Flohmarkt, auf dem der Leiter des Zentrums, Alexander Karl Wandinger, ihn entdeckt hat, nur noch einer vorhanden war. Zugegriffen hat er trotzdem, weil es, wie er selbst sagt, „wirklich alte Haferlschuhe sehr selten gibt“. Und weil man an diesem Exemplar aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sehr gut sieht, wie der Schuh – der seinen Namen aufgrund seiner Ähnlichkeit mit einem kleinen Topf, dem „Haferl“ bekam – früher gefertigt wurde. Zum Einsatz kamen neben Rindsleder auch Leinenfaden, Holzstifte zur Befestigung des Sohlenleders und robuste Eisennägel. Letztere gewährleisten einen festen Tritt und schonen die Sohle. So ist der Flohmarkt-Fund trotz seines Single-Daseins und seines wenig repräsentablen Aussehens heute eine Bereicherung der Sammlung.

Das „Zentrum für Trachtengewand“, wie es seit 2021 heißt, war bisher unter der Bezeichnung „Trachten-Informationszentrum“ bekannt und trägt nun den Untertitel „Sammlung – Forschung – Handwerkskunst“. Der neue Name ist Programm. Herzstück der Einrichtung im Maierhof des Klosters Benediktbeuern ist nach wie vor die Textil- und Accessoires-Sammlung mit rund 20.000 Exponaten. Doch während sie vorher in denselben Gewölben lagerte, in der auch das übrige Zentrum für Trachtengewand seinen Sitz hat, ist nun ein eigenes Depot in Planung. Dieses soll allen konservatorischen Anforderungen genügen, wozu neben dem richtigen Klima auch Rollregale und vor allem ein abgeschlossener Raum gehören. Entstehen soll es direkt im Anschluss an die bestehenden Räumlichkeiten, in denen die Bibliothek, die Foto- und Grafiksammlung und die Archivalien untergebracht sind.

Die originalen Exponate der Sammlung sind die Grundlage von Forschungsarbeiten, oft auch in Kooperation mit anderen Einrichtungen. Und die Sammlung liefert darüber hinaus viele Anschauungsobjekte für Bildungsveranstaltungen rund um das Thema Tracht, die im neuen Zentrum für Trachtengewand mehr Gewicht bekommen sollen. Denn Alexander Karl Wandinger weiß: „All das Wissen und die Fertigkeiten, die für die Herstellung von Trachten nötig sind, müssen immer wieder weitergegeben werden.“ Sonst geht die Erinnerung an die traditionellen Handwerkstechniken verloren. Die Kurse werden künftig im benachbarten „Forum Heimat und Kultur“ ihren Platz finden, in dem vorher die Fachberatung Heimatpflege ihren Sitz hatte. Mit Veranstaltungen, Ausstellungen und Seminaren soll sich dort in Zukunft die Kultur- und Bildungsarbeit des Bezirks Oberbayern der Öffentlichkeit präsentieren. Und wer weiß – vielleicht kommt dort ja auch einmal ein alter Haferlschuh zu Wort, der eine Menge zum Thema Tracht erzählen kann.