„Das Theaterspiel hat in Bayern eine lange und reichhaltige Tradition. Das beginnt schon mit dem theatrum sacrum der Barockzeit – das berühmte Passionsspiel in Oberammergau mag hier nur als Beispiel dienen, setzt sich fort mit den großen Schauspielaufführungen am Münchner Hof und den Bauerntheatern des bayerischen Oberlands und lebt bis heute weiter etwa in den Inszenierungen eines Christian Stückl, ganz bewusst einer der Kulturpreisträger des Bezirks Oberbayern.
In diesen Zusammenhang gehört auch das Projekt Theater für alle des Vereins Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen, Verein zur Förderung der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder e. V. aus Geretsried. Seit 2015 entwickeln Sie, sehr geehrte Frau Wilfling, mit Ihren Vereinsmitgliedern Aufführungen, bei denen ganz selbstverständlich Menschen mit und ohne Behinderung zusammenkommen und zusammenarbeiten. Das Besondere daran ist, dass von Anfang an alle an der Entwicklung der Stücke beteiligt sind, sich selbst aktiv und selbständig in die künstlerischen Projekte mit einbringen und damit ihre eigenen Fähigkeiten in der ganzen Bandbreite entdecken und entfalten können.
Und so ist es kein Zufall, dass diese Stücke stark von den eigenen Erfahrungen und Ideen der Beteiligten geprägt sind, dass sich in diesem Rahmen ganz unterschiedliche Sichtweisen und Lebenserfahrungen widerspiegeln, dass aber darüber hinaus auch Werte wie Selbstvertrauen und gleichberechtigtes Miteinander zum Tragen kommen. Sie praktizieren das, was in unserer Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein sollte, und Sie leben vor, welchen Mehrwert alle Beteiligten aus diesem Miteinander ziehen können. Nicht umsonst trägt Ihr jüngstes Theaterprojekt den Titel Alle normal oder WAS. Darin werden nicht mit erhobenem Zeigefinger Aspekte der Diskriminierung vorgeführt, sondern ganz einfach der Respekt voreinander und füreinander, eben das Positive eines bereichernden Zusammenlebens und -arbeitens, in den Mittelpunkt gestellt wird.
Das Motto des diesjährigen Inklusionspreises lautet Wir sind Heimat - Vielfalt leben vor Ort. Dieser Begriff „Heimat“ ist nichts Abstraktes oder Statisches, er braucht Menschen, die ihn mit Leben erfüllen und damit prägen. Sie schaffen diese Heimat, indem Sie Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Lebensläufen zusammenbringen. Dafür wollen wir mit dem Inklusionspreis 2022 auch einmal „Vergelt‘s Gott“ sagen – in der Würdigung, dass das, was Sie heute tun und bewegen, zum Leitbild unserer Gesellschaft für morgen wird!“