Kritischer Lupenblick
München, den Datum: 26.06.2023Bezirk veröffentlicht Buch über Kriegerdenkmäler in Oberbayern
Kriegerdenkmäler gehören heute zum Erscheinungsbild fast aller Dörfer, Märkte und Städte in Oberbayern. Sie sind so selbstverständlich im Ortsbild, dass sie außerhalb des Volkstrauertags kaum Beachtung finden. Zwei- bis dreitausend solcher Denkmäler und Gedenktafeln mögen es wohl allein in Oberbayern sein und über 100 000 in der gesamten Bundesrepublik. Der langjährige ehemalige Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler hat zusammen mit der bisherigen Leiterin der Kulturabteilung, Dr. Elisabeth Tworek, im Auftrag des Bezirks Oberbayern nun das Buch Kriegerdenkmäler in Oberbayern. Von der Heldenverehrung zum Friedensmahnmal herausgegeben. Im Gespräch stellen die beiden gemeinsam ihr Werk vor.
Ihr Buch wurde in der Presse bereits als Standardwerk bezeichnet. Wie erklären Sie sich, dass es zu diesem Thema bisher keine einschlägige Literatur gab, obwohl die Kriegerdenkmäler ja allgegenwärtig sind?
Dr. Tworek Es gibt Buchpublikationen über Kriegerdenkmäler, aber die liegen Jahrzehnte zurück und betrachten nur die wichtigsten Monumente im deutschen Raum. Den kritischen Lupenblick auf eine Region wie Oberbayern zu richten, ist eine wichtige Aufgabe regionaler Heimatpflege, und wir haben uns ihr gestellt. Es gibt Anzeichen, dass andere Bezirke unserem Beispiel folgen wollen.
Was empfehlen Sie: Müssen Kriegerdenkmäler nun abgerissen werden?
Dr. Tworek Es gibt nach wie vor Kriegerdenkmäler, die sehr unglücklich gewählte Inschriften und Motive aufweisen. Rückbauten sehen wir nicht als nötig an, aber sehr wohl ergänzende und erklärende Zusatztafeln. Dass dies auch ästhetisch und historisch gut gelingen kann, beweist eine ganze Reihe von Beispielen in unserem Buch.
Aus welcher Zeit stammen die meisten Denkmäler?
Dr. Göttler Nach jedem Krieg möchte man die traumatischen Erlebnisse durch künstlerische Monumente erklären – bisweilen auch überhöhen. Die ältesten Beispiele verweisen in Oberbayern auf die Sendlinger Mordweihnacht von 1705, die jüngsten auf die Toten der deutschen Bundeswehr. Die meisten Kriegerdenkmäler entstanden nach den Deutschen Einigungskriegen von 1870/71 und nach dem 1. Weltkrieg. Interessant ist, dass Denkmäler, die kurz nach den traumatischen Ereignissen entstanden, meist schlicht und friedensmahnend gestaltet sind, während sie Jahrzehnte später oft durch hohles Pathos instrumentalisiert werden.
Welche Rolle kommt dabei der amerikanischen Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg zu?
Dr. Göttler Die Besatzungsbehörden hatten einen kritischen Blick auf martialische, kriegsverherrlichende Motive auf Kriegerdenkmälern und verboten beispielsweise die Abbildung von modernen Waffen wie Panzerfäuste, Maschinengewehre und Handgranaten. In Einzelfällen mussten solche Monumente abgebaut werden. Aber das Netz war nicht engmaschig genug, viele problematische Motive blieben bestehen.
Die meisten Menschen in Deutschland haben glücklicherweise keinen Krieg zu Lebzeiten erleben müssen. Der Krieg vor unserer Haustür in der Ukraine hat uns dafür wieder sensibilisiert. Welche Rolle kann das Gedenken an bisherige Kriege Ihres Erachtens hier spielen?
Dr. Tworek Unabhängig von der Gestaltung der Kriegerdenkmäler sollten sich alle mal der Erfahrung aussetzen, die langen Totenlisten darauf zu studieren. Tausende und Abertausende meist junge Menschen sind auf den Denkmälern verzeichnet. In Großstädten konnte man keine Totenlisten aufbringen, weil ihre Zahl viel zu groß war. Dafür müssen wir wieder Empathie aufbringen, ein wenig können Kriegerdenkmäler dazu beitragen.
Die Gefahr ideologischer Vereinnahmung ist natürlich groß. Wie kann man dem begegnen?
Dr. Tworek Man darf die Möglichkeiten textlicher und bildlicher Gestaltung eines Steines nicht überfordern. Daher müssen Mahnmale zusätzlich thematisiert werden in Erwachsenenbildung und Jugendarbeit, in Heimatpflege und politischer Bildung. Die Totensonntage sollten zeitgemäß und ideologiefrei gestaltet werden. Und schließlich muss eine wehrhafte Demokratie und Gesellschaft jedem extremistischen Missbrauch entgegentreten, ehe es zu spät ist.
Sehr oft wird vom Heldentod gesprochen. Können wir diesen idealisierenden Begriff heutzutage einfach so stehen lassen?
Dr. Göttler Ein Heroisieren des Heldentodes ist nicht zeitgemäß. Die Wirklichkeit des Krieges mit Verstümmelungen und Amputationen, Seuchen und Verhungern, Kriegsgräueln und Vergewaltigungen wird verdrängt und kommt auf Kriegerdenkmälern nicht vor. Es werden darauf nur Waffen und siegreiche Kämpfer oder allenfalls der schnelle Heldentod in Uniform dargestellt.. Zwar gibt es in Extremsituationen wie Kriegen Helden, aber sicher auch das Gegenteil davon. Und Helden gibt es nicht nur beim Militär, sondern auch in der Zivilgesellschaft, vor allem unter Frauen, Jugendlichen und Kindern. Das alles nicht oder schwer darstellen zu können, gehört zu den Schwachstellen jedes Monuments. Ein weiteres Manko: Kriegerdenkmäler unterscheiden nicht zwischen Tätern und Opfern. Das führt oftmals zu schweren Konflikten vor Ort, die nur durch sachkundigen Dialog zu lösen sind.
(Interview: sb)