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Tanz aus der Krise

München, den Datum: 25.03.2020
Heimat

Holten tanzende Fassmacher vor 500 Jahren die Menschen wieder ins normale Leben zurück?

Kunst, Musik und Rituale halfen seit jeher, die in Krisenzeiten entstandenen Traumata zu überwinden. Davon zeugen heute Pestsäulen und -kapellen oder die Oberammergauer Passionsspiele, die man seit dem Pestjahr 1633 regelmäßig aufführt. Auch der heute in ganz Oberbayern verbreitete Zunfttanz der Fassmacher – der Schäfflertanz – gilt als Reaktion auf eine überstandene Katastrophe. Oder ist der Ursprung des Schäfflertanzes womöglich nur ein Mythos? Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler und Volksmusikpfleger Ernst Schusser geben Auskunft.

Er soll auf das Jahr 1517 zurückgehen, als sich die Münchner Bürgerinnen und Bür-ger nach überstandener schwerer Pestepidemie nicht wieder in die Öffentlichkeit zu-rücktrauten. Mutige junge Schäfflergesellen lockten die verängstigten Menschen mit Tanz und Musik wieder ins Freie – und damit „ins Leben“ zurück. So will es die Legende. Die dazugehörige Tradition hat sich erhalten. Bis heute wird der Schäfflertanz alle sieben Jahre aufgeführt, in München konnte er zuletzt im vergangenen Jahr bewundert werden: Gut 20 Männer bewegten sich zur Blasmusik nach fest vorgegebener Choreografie über den Marienplatz. Ein Blickfang ist bei solchen Aufführungen auch die maßgeschneiderte Tracht. Weiße Kniestrümpfe, schwarze Kniebundhose, rote Jacke, Lederschurz und Kappe gehören ebenso dazu wie das diagonal über die Brust gespannte schwarze „Pestband“, das an die schlimme Zeit erinnern soll.

Die Tänzer drehen sich im Kreis, heben gleichzeitig ihr Knie, bewegen sich aufeinander zu und voneinander weg. Dabei tragen sie bogenförmige Buchskränze, die an das Handwerk der Fassmacher erinnern, ebenso wie Fassschläger, die mit Hämmern im Takt auf den eisernen Fassring schlagen. Besondere Geschicklichkeit wird dem Reifenschwinger abverlangt, der einen Holzreifen kunstvoll durch die Luft wirbelt und dabei aufpassen muss, keinen Schnaps zu verschütten. Dieser befindet sich in einem Stamperl, das wiederum an der dicksten Stelle des Reifens in eine Vertiefung eingelassen ist. Zum Ritual gehört, dass der Reifenschwinger vor seiner Performance die Prominenz „derbleckt“ und danach das Glas austrinkt und hinter sich wirft. Dort wird es von einem der beiden fest zur Schäfflergruppe gehörenden Kasperl mit der Mütze aufgefangen.

Belege für eine Pestepidemie 1517 gibt es nicht

Die Figuren und Tanzschritte werden von einer Generation an die Nächste weitergegeben. Aus Mangel an jungen, unverheirateten Schäfflergesellen – ursprünglich durften nur solche den Brauch ausüben – machen heute auch ältere und berufsfremde Tänzer mit. Ansonsten ist die Angelegenheit nach wie vor reine Männersache. So altehrwürdig und fest tradiert der Schäfflertanz auch scheinen mag, Fachleute bezweifeln nicht nur sein Alter, sondern auch seine Entstehungsgeschichte. „Glaubhafte Belege, dass es 1517 in München überhaupt eine Pestepidemie gab, haben wir nicht“, so Bezirksheimatpfleger Dr. Norbert Göttler. „Die Sterberegister des Jahres verzeichnen keine Auffälligkeiten.“ 1702 werde der Schäfflertanz als solcher zum ersten Mal in den Archiven der Stadt München erwähnt. Seit 1760 werde er alle sieben Jahre zur Faschingszeit aufgeführt, das sei belegt. „Über 250 Jahre Tradition – ist auch schon was! Und die mythologische Überhöhung von Ereignissen, deren Ursprung man nicht kennt, kommt öfter vor“, weiß Göttler. Er vermutet, dass die Pest-Legende erst im 19. Jahrhundert entstanden ist.

Auch die Frage, warum der Tanz alle sieben Jahre stattfindet, konnte bisher nicht beantwortet werden. Angeblich, weil die Pest alle sieben Jahre zurückkam und die Sieben als Glückszahl gilt. Einer anderen Überlieferung nach habe Herzog Wilhelm IV. von Bayern versucht, die Feste der Zünfte zu reglementieren und den Schäfflern den Tanz nur alle sieben Jahre erlaubt. Wenn es so war, hätte es ihm sicherlich nicht gefallen, dass im 19. Jahrhundert wandernde Schäfflergesellen den Brauch erfolgreich in ganz Oberbayern verbreiteten. Oft nahmen sich lokale Turnvereine der Pflege des – damals noch lizensierten – Zunfttanzes an. Bis heute erfreut er sich großer Beliebtheit und wird landauf landab gepflegt. „26 Schäfflergruppen gibt es in Oberbayern, 18 davon sind im vergangenen Jahr aufgetreten“, berichtet Eva Pöhlmann vom Volksmu-sikarchiv in Bruckmühl. Die Einrichtung des Bezirks Oberbayern hat Noten und Texte zum Schäfflertanz in ihrem Bestand.

Was wir heute hören, ist die konservierte Melodie von 1886

Seit Beginn der 1990er Jahre zeichnet das Volksmusikarchiv die Tänze der verschie-denen Gruppen auch auf Video auf. „Obwohl sie alle auf das Münchner Original zu-rückgehen, gibt es doch regionale Unterschiede“, so der Leiter des Archivs, Ernst Schusser. Manche tanzten in anderen Zeitabständen oder außerhalb der Faschingszeit. Der vielleicht bekannteste Text zum Schäfflertanz handelt vom Wetter in der Aufführungszeit: „Aber heut is kalt, aber heut ist kalt, aber heut is sappramentisch kalt!“ Was die Musik angeht, so habe sich die dem Zeitgeist und mehr noch den in der jeweiligen Zeit vorhandenen Instrumenten angepasst. Was wir heute hören sei in der Regel die 1886 vom Königlichen Musikmeister Johann Wilhelm Siebenkäs komponierte Melodie, danach habe es keine großen Veränderungen mehr gegeben.

Dafür aber große Verbreitung. Wer könnte sagen, wie viele Touristen aus aller Welt bislang die Miniaturversion des Tanzes im Glockenspiel am Münchner Rathaus durch ihre Kameras bewundert haben? Drei Mal täglich ist das farbenfrohe Spiel dort auch heute zu sehen – trotz Corona-Krise, nur mit weniger Publikum. Nicht weit entfernt und erst auf den zweiten Blick sind weitere Schäfflerfiguren zu erkennen: als Relief an der Südwestecke des Rathauses und als Hauszeichen am sogenannten Schäfflereck. Bleibt die Frage, in welcher künstlerischen Form sich die Menschen einmal an die überstandene Corona-Pandemie erinnern werden. Und wichtiger noch: Wie es sein wird, wenn alles vorüber ist? Werden sich die Menschen so einfach trauen, wieder „unter Leute“ zu gehen? Vermutlich gibt es kein nahtloses Weitermachen wie vorher. Und vielleicht helfen dann Rituale, Kunst und Musik.

Bereits jetzt unterstützt das Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern mit einer besonderen Aktion: Es versendet innerhalb Oberbayerns kostenlos Liederhefte und Liederblätter für das Singen zu Hause. Die Aktion gilt vorläufig bis Ostern und solange der Vorrat reicht. Im Angebot sind unter anderem Liederhefte für das Singen und Spielen mit Kindern und für das Singen mit älteren Menschen, geistliche, bayerische und deutsche Volkslieder sowie zweistimmige Lieder für Frauen- und Männerstimme. Bestellungen telefonisch unter 08062 5164 oder per E-Mail an volksmusikarchiv@bezirk-oberbayern.de.

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