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Heimat am laufenden Band

München, den Datum: 31.05.2019
Zamma - Das Festival in Oberbayern

Für das ZAMMA – Kulturfestival Oberbayern in Garmisch-Partenkirchen entsteht ein textiles Kunstobjekt

„Grenzenlos Daheim“ ist der Titel eines besonderen ZAMMA-Projekts. Menschen an verschiedenen Orten greifen hierfür zu Nadel und Faden und machen sichtbar, was Heimat für sie bedeutet. Die Textilkünstler Stephanie Müller und Klaus Erich Dietl verbinden die traditionellen und experimentellen Arbeiten zu einem langen Band, das ab 13. Juli im Museum Aschenbrenner in Garmisch-Partenkirchen gezeigt wird.

Ein Brokatherz, umrankt von einem gehäkelten Regenbogen, steht im Mittelpunkt des Stickbildes, an dem die Ordensschwestern des Klosters Schlehdorf gemeinsam arbeiten. „Heimat ist dort, wo man liebt“, sagt Schwester Josefa, und spielt damit auf die besondere Situation der Gemeinschaft der an. Weil die Zahl der dortigen Missionsdominikanerinnen stetig kleiner wurde, sind die noch verbliebenen 30 Nonnen zu Ostern aus der Klosteranlage aus- und in barrierefreie Apartmenthäuser direkt nebenan eingezogen. Das Kloster soll verkauft werden. Heimat ist also auch an traditionellen Orten wie Klöstern nicht garantiert. Außer man trägt sie im Herzen, worauf die Handarbeit liebevoll hindeutet. Doch auch vom äußeren Wandel erzählt die Stickerei, in der das ehemalige Kloster und das neue Wohnheim erkennbar sind.

Heimat an verschiedenen Orten kennt auch die Münchner Künstlerin Gülcan Turna, die in der Türkei aufgewachsen ist. Für das gemeinsame Stoffband steuert sie Wortstickereien bei, mit denen sie sich kritisch und humorvoll zugleich mit der politischen Lage in ihrem Herkunftsland, aber auch mit der Wahlheimat Bayern auseinandersetzt. In feinstem Kreuzstich zu lesen ist unter anderem „Kein Zeit“, „Spreche Deutsch“ oder „Was soll ich kann tun“.

Eine ganz eigene Idee zum Thema Heimat hat die Wallgauerin Christine Gerg, die mit Leidenschaft Textiles aller Art gestaltet – von Kappen und Schals bis hin zum Wadenstrumpf. Sie weist auf die Ressourcenverschwendung hin, die sie in ihrer unmittelbaren Heimat, dem Karwendel beobachtet. „Zwei Mal im Jahr werden die Schafe geschoren und die Wolle wird einfach weggeworfen, weil sie für die Schafbauern unrentabel ist. Man könnte Tragetaschen daraus machen, das wäre eine stylische und ganz regionale Verpackung, für die das Material immer wieder nachwächst“, so Gerg. Für das textile ZAMMA-Projekt entwickelt sie eine Upcycling-Tasche als Gegenposition zum Wegwerfprodukt Plastik.

Die „Alpinen Quilter“ aus Garmisch-Partenkirchen liefern ebenfalls einen Beitrag zu dem Kunstprojekt. „Das Thema „Daheim“ beschäftigt uns schon seit einiger Zeit. Jede hat es auf ihre Art in Stoff und Farbe umgesetzt“, berichtet Traudi Anzenberger von den Quiltern. Die handarbeitsbegeisterten Frauen sticken und nähen von Hand und Maschine und zeigen eine beindruckende Vielzahl an Oberflächengestaltungen – von Patchwork, Pflanzen- und Stempeldruck bis hin zur Ausbleichtechnik mit Sonnenlicht, der Serviettentechnik und dem Einsatz von Textilfarbe.

Die Idee für das Projekt „Grenzenlos Daheim“ kam aus dem Trachten-Informationszentrum (TIZ) des Bezirks Oberbayern in Benediktbeuern. Es ist sein Beitrag für das Kulturfestival ZAMMA in Garmisch-Partenkirchen. „Ich wollte wissen, was die einzelnen Leute vor Ort unter Heimat verstehen“, so TIZ-Leiter Alexander Wandinger. „Und damit dem oft sehr theoretischen und zum Teil politisch instrumentalisierten Diskurs über Heimat eine sichtbare und greifbare Form von Heimatbildern gegenüberstellen.“

Der Anstoß wiederum kam aus Schlehdorf, wo mit dem Verkauf des Klosters auch die Stickwerkstatt aufgelöst wurde. Neben historischen Handarbeitsstücken und Vorlagen gelangte bei der Auflösung auch eine größere Zahl an Stickrahmen ins TIZ. Heimatlose Schwestern, ungenutztes Arbeitsgerät: So kam eins und eins zusammen. Die Rahmen sind nun wieder im Einsatz, und als Material steuerte Wandinger handgewebtes Leinen aus dem Bestand des Archivs bei. Dieses stammte ursprünglich aus einem alten Brautschrank und war als Aussteuer gedacht. In Stücke aufgeteilt wird es jetzt an verschiedenen Orten in Oberbayern zu etwas Neuem verarbeitet.

Die Aufgabe, die vielen einzelnen Handarbeiten zu einem gemeinsamen Band zu vereinen, ist die Herausforderung für das Künstler-Duo Müller und Dietl, die das Projekt von Anfang an begleitet haben. So finden Brokatherz und türkisch-deutsche Wortbilder, das dreidimensionale Taschenwerk und die vielfältigen Werke der Alpinen Quilter zusammen. Eingefügt werden auch die Arbeiten von Schülerinnen und Schülern der Erzbischöflichen Realschule St. Immaculata Schlehdorf, die mit Linoldruck auf Leinen arbeiten.

Das fertige Band wird ab 13. Juli in Garmisch-Partenkirchen im Museum Aschenbrenner gezeigt. Es ist Teil der Ausstellung „Vom Weggehen und Ankommen“, die sich mit der Migration in der Alpengemeinde beschäftigt und zum Programm von ZAMMA (13. bis 20. Juli) gehört.


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