Schießbuden-Konversation und andere Kabinettstückchen
Volksmusikarchiv macht historische Wiesn hörbar
Zu einer akustischen Reise in die Geschichte der Wiesn lädt das Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern ein. Aus seiner rund 27.000 Stück umfassenden Schellackplatten-Sammlung hat das Archiv mit Sitz in Bruckmühl sechs kurze humoristische Szenen und Musik zum Oktoberfest ausgewählt und erklärt. Zu hören sind akustische Schätze aus der Zeit von 1906 bis 1927.
Schellack digital hören: So wird man Zeuge verschiedener komischer Szenen – darunter eine in Bierlaune geführte Festzeltunterhaltung über Caruso aus dem Jahr 1914 und ein „derber“ Wortwechsel mit einer Schießbudenbetreiberin von 1908. Zu hören sind auch zwei Oktoberfest-Ländler, zu denen sich die Paare in den 1920er Jahren drehten.
Die Hörstücke geben zugleich einen Einblick in die Geschichte der Aufnahmetechnik. Schellackplatten wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts in mechanischer Weise erstellt und sind daher im Vergleich zu den ab ca. 1930 produzierten elektrischen Tonaufnahmen "rauschiger", das heißt, stärker mit Störgeräuschen überlagert. Die Interpreten spielten und sprachen in einen Schalltrichter, der zu einer Membran führte und über einen Schneidstichel die Aufnahme in einen Wachsrohling gravierte. Dieser war die Grundlage für die Plattenproduktion.
Rund 27.000 Schellackplatten hat das Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern archiviert. Sie wurden auf ihre Qualität hin beurteilt, datiert und wenn nötig auch restauriert. Auf einer Plattenseite befindet sich ein Titel von zwei bis drei Minuten Länge. 5.000 solcher Titel wurden bereits digitalisiert.
Tonbeispiel 1: "Beim Oktoberfestrennen"
Die komische Szene thematisiert lustige Vorgänge und Witze am Rande des – bis zum Zweiten Weltkrieg jährlich stattfindenden – Pferderennens und schließt mit einem damals sehr populären Liedrefrain auf eine Schottischmelodie: „Drah ma’ um und drah ma’ auf, es liegt nix dro’, weil ma’s Geld auf dera Welt ...“. Vorgetragen wird sie von zwei Berühmtheiten der Münchener humoristischen Volkssängerszene, August Junker (1872-1946) und Alois Hönle (1871-1943). Für gewöhnlich war Junker in dem überaus produktiven Zweigespann für große Teile des Vortrags zuständig, während Hönle als Bühnenpartner und im Hintergrund für Text und Konzept tätig war. Beide leiteten ab 1905 die über die Grenzen Münchens hinaus bekannte Singspielhalle „Apollo-Theater“, bei der Junker ab 1898 als Komiker tätig war. Wie zu dieser Zeit durchaus üblich, bespricht Junker den Beginn der Tonaufnahme mit dem Labelnamen. Diese etwa auf 1910 zu datierende Pressung stammt aus der Sammlung von Herbert Grünwald (VMA-Signatur SC-80029). Der Klang ist typisch für eine akustische Aufnahme der Zeit, die Platte scheint aufgrund ihrer verhältnismäßig guten Qualität jedoch nicht häufig gespielt worden zu sein.
Tonbeispiel 2: „Oktoberfest-Ländler“
Die Aufnahme des als „Oktoberfest-Ländler“ betitelten Instrumentalstücks ist um 1920 zu datieren. Als Interpreten dieser Schellackplatte von Polyphon (VMA-Signatur SC-13403) wird die Münchener „Kapelle Kaiser, vormals Peuppus“ angegeben. Der erste Teil ist das in gemütlichem Tempo mit Blechinstrumenten gespielte Unterhaltungslied „Nach Hause gehen wir nicht“. Die für München signifikante ehemals aus Wien kommende Melodie „Solang der alte Peter“ wird als dritter Teil dieser landlerischen Halbwalzerfolge einbezogen. Typisch für die Halbwalzer der Zeit ist der Registerwechsel zwischen Blechinstrumenten und Klarinetten sowie das stereotype Nachspiel nach jedem Teil.
Tonbeispiel 3: „Caruso am Oktoberfest“
Diese Beka-Aufnahme (VMA-Signatur SC-05635) von 1914 wurde von Hans Blädel (1871-1937) mit Orchesterbegleitung in akustischer Aufnahmetechnik eingesprochen. Es geht um ein scheinbares Missverständnis einer in Bierlaune geführten Festzeltunterhaltung – nämlich darum, dass Caruso auf dem Oktoberfest gesehen worden sei. Bemerkenswert an dieser Aufnahme ist die geschickte Inszenierung einer Bierzelt-Atmosphäre mit gelegentlichen Prosit-Tuschen und Lachern, die sicherlich nur mit exakter Planung und großer Konzentration im Studio herzustellen war. Den Schlusspunkt setzt die Blasmusik mit dem Anfang des „Tiroler Holzhackerbuam“-Marschs. Der gebürtige Oberpfälzer Blädel wurde von Anderl Welsch (1842-1906) für das Münchener Apollo-Theater als Volkssänger und Humorist engagiert. Welsch leitete die Singspielhalle von 1898 bis 1905, bevor August Junker und Alois Hönle diese übernahmen. Unter den auf Schellackplatten vertretenen Münchener Volkssängern sind die Aufnahmen von Blädel wahrscheinlich am häufigsten anzutreffen. Auch in der Sammlung des Volksmusikarchivs machen sie einen sehr großen Teil aus, wobei Blädel oftmals zusammen mit seinem Bühnenpartner Robert Lang (1873-1935) zu hören ist.
Tonbeispiel 4: „Münchener Oktoberfest-Ländler“
Zu hören ist in dieser Aufnahme der Zitherspieler und Komponist Georg Freundorfer (1881-1940), der bekannt ist durch die Werke „An der schönen grünen Isar“ und „Gruß an Oberbayern“ (vormals „Gruß an Obersalzberg“). Hier interpretiert er in Begleitung von Ernst Boecker (Klavier) einen schmissigen „Münchener Oktoberfest-Ländler“. Dieser Bravour-Landler mit für Freundorfer typischen Harmoniefolgen besteht in Anlehnung an die traditionelle Spielweise aus einer Abfolge von in der Regel 16-taktigen Melodien und 8-taktigen Zwischenspielen. Auffällig ist hier die im Vergleich zu mit den anderen Oktoberfest-Tonbeispielen sehr viel bessere Klangqualität. Das erklärt sich dadurch, dass Beka für diese 1927 entstandene Platte (VMA-Signatur SC-00514) die damals innovative elektrische Aufnahmetechnik verwendete, die eine deutliche Verbesserung zur akustischen Aufnahme darstellte.
Tonbeispiel 5: „Auf der Schießbude auf dem Oktoberfest in München“
Die Aufnahme von Gramophone Concert Record (VMA-Signatur SC-04211) stammt aus dem Jahr 1908 und besticht durch die exzellenten Alleinunterhaltungskünste des Volkssängers und Gesangshumoristen Alois Schwarz. Dieser führt als „Kare“ eine mit groben Wortpassagen versehene Unterhaltung – unter anderem mit der Schießbudenbetreiberin, und erfindet diverse Gründe für seine wiederholten Pannen und Fehlschüsse.
Tonbeispiel 6: „Münchner Oktoberfest“
Die „Münchener Peuppus-Kapelle“ spielt dieses Potpourri mit dem Titel „Münchner Oktoberfest“, Dirigent ist Emil Kaiser (1853-1929). Auffällig ist die gegenüber den anderen Tonbeispielen deutlich schlechtere Klangqualität. Dies ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass die Zonophone-Platte (VMA-Signatur SC-15127) in der Vergangenheit wohl recht häufig gespielt wurde. Zum anderen wurde die Platte in der akustischen Aufnahmetechnik erstellt und ist mit einer geschätzten Datierung auf etwa 1906 das älteste der vorliegenden Tonbeispiele zum Oktoberfest. Zum Aufbau des Potpourris: Einem Marsch folgt das bekannte rheinische Mitsinglied „Jetzt trink ma no a Flascherl Wein“. Dann schließt sich die in vielen Oktoberfest-Singheften abgedruckte „Salvator-Polka“ an. Gespielt ist sie in dem um 1900 beliebten gemütlichen Bayerisch-Polka-Tempo mit Anklängen an den Oberpfälzer Dialekt (Trio): „Schöi mouß göih ...“ (oder „Druck no zua...“) mit dem Nachsatz „Wir werden ihn schon kriegen ...“. Das „Prosit der Gemütlichkeit“, das auf den in Bremen geborenen Komponisten Georg Kunoth (1863-1927) zurückgeht, beschließt das Potpourri mit dem unvermeidlich bierseligen „oans, zwoa, drei, g‘suffa!“.