Deklassiert, entrechtet und ermordet
München, den Datum: 30.01.2025kbo-Klinikum Taufkirchen (Vils): Gedenken an Opfer der NS-‚‚Euthanasie‘‘
Mit einer Gedenkveranstaltung wurde am kbo-Klinikum Taufkirchen (Vils) der 125 Patientinnen und Patienten der früheren Landesfürsorgeanstalt Taufkirchen (Vils)gedacht, die Opfer der NS-‚‚Euthanasie“ wurden. Friederike Steinberger, weitere stellvertretende Bezirkstagspräsidentin, appellierte dabei an die Anwesenden, die Erinnerung an diese Verbrechen zu bewahren.
„125 Pfleglinge hätten damals unsere Unterstützung und Hilfe benötigt, das Gegenteil ist passiert. Sie wurden allein gelassen, sie haben keinen Schutz erfahren, sondern wurden durch ‘Wegsehen’ und Unterlassen ihrem Schicksal überlassen. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der damaligen Landesfürsorgeanstalt haben zu diesen Verbrechen beigetragen. Umso wichtiger ist es, dass wir an diese Menschen erinnern, die Erinnerung an sie wachhalten“, mahnte Steinberger.
Am 21. Oktober 1940 wurden die ersten Patientinnen und Patienten aus der Landesfürsorgeanstalt Taufkirchen (Vils) in die damalige Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar gebracht. Insgesamt wurden 125 „Pfleglinge“ deportiert. Viele von Ihnen erwartete ein grausames Schicksal. 68 dieser unschuldigen Menschen wurden in die Tötungsanstalt Hartheim in Österreich deportiert und umgebracht, andere brachte man in sogenannte Hungerhäuser und ließ sie dort systematisch verhungern.
Forschen nach der Wahrheit
Hinter den Zahlen stehen individuelle Biografien und Lebensgeschichten: Daran erinnerten Peter Eigelsberger (Gedenkort Hartheim) und Christian Pfleger (kbo-Klinikum Taufkirchen (Vils)). „Den Opfern einen Namen geben, das war und ist die Aufgabe der Gedenkstätte Hartheim“, stellte Eigelsberger fest. Jedes Jahr kämen mehr als 17 000 Menschen in die Gedenkstätte. Überwiegend Schülerinnen und Schüler, aber auch Menschen, die auf der Suche nach Informationen zu ihren Angehörigen seien, die in Hartheim verstorben sind. Die Täterinnen und Täter hätten 1945 bewusst alle Patientenakten vernichtet, um Spuren zu verwischen. Datenbanken seien dabei ein wichtiges Instrument, um Informationen über die Opfer zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. „Wir nutzen dabei viele verschiedene Quellen“, erklärte Eigelsberger. Besonders angewiesen seien sie auf die Forschung in den einzelnen Kliniken – zum Beispiel auf die Arbeit von Christian Pfleger in Taufkirchen, der in den vergangenen Jahren sehr intensiv geforscht und der Gedenkstätte Hartheim die Daten zur Verfügung gestellt habe.
Wie wichtig die dezentrale Forschung ist, zeigte Christian Pfleger. Der studierte Historiker und Krankenpfleger wies in seiner Rede eindrücklich auf die individuellen Lebensgeschichten der deportierten Menschen hin. Die Lebensbeschreibungen der Betroffenen der ‚‚NS-Ausmerzungspraktiken‘‘ offenbarten deren vielfältige und unterschiedliche Lebensbahnen, die allein im Schnitt- und Knotenpunkt der Vernichtung zusammenliefen: „Menschen wurden zu definierten und verabsolutierten Merkmalsträgern konstruiert und deklassiert, durch politische Marginalisierung und gesellschaftliche Isolation entrechtet und entfremdet. Menschen wurden zum artfremden Untermenschen, zum asozialen Volksschädling oder zum schizophrenen Defektzustand erklärt und verschwanden hinter rassistischer Verblendung, pseudowissenschaftlichen Prognosen oder medizinischen Diagnosen“, so Pfleger. Nur durch intensive Forschung und Bündelung aller Quellen sei es möglich, die individuellen Lebensgeschichten der Opfer zusammenzufassen.