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„Musik ist eine Sprache“

München, den Datum: 26.09.2022

Musiktherapeut Axel-Helge Orlovius im Gespräch über Musik und deren Möglichkeiten

Axel-Helge Orlovius begann 1982 als Krankenpfleger auf einer geschützten Station im kbo-Heckscher-Klinikum München, wechselte dann in eine therapeutische Wohngruppe, setzte noch ein Studium obendrauf und fing Mitte 1991 als Musiktherapeut fest in der „Heckscher“ an. Nun geht er in den Ruhestand – Zeit für eine Bilanz.

Wie kamen Sie zur Musiktherapie?
Axel-Helge Orlovius Die Musik hat mich immer begleitet. Als ich 17 Jahre alt war, stand ich kurz davor, ein Musikstudium zu beginnen. Ich wollte aber nicht von der Musik leben, sondern mit der Musik. Als ich dann 1982 hier angefangen habe, habe ich Peter Ludwig kennengelernt. Der war ausgebildeter Pianist und Komponist und absolvierte seinen ­Zivildienst in der Klinik. Wir haben die ersten kleinen Bandprojekte mit Patientinnen und Patienten durchgeführt. Da habe ich gemerkt: Das ist genau das, was ich machen will! Also musste ich überlegen, wie ich das umsetzen kann.


Und was war das Ergebnis?
Ich habe mich in der Therapeutischen Wohngruppe beworben. Hier konnte ich in Vollzeit arbeiten und gleichzeitig studieren. Bei der Weihnachtsfeier 1989 hat mir Chefarzt Prof. Martinius dann angeboten, als Musiktherapeut zu arbeiten. Ich habe im Januar 1990 angefangen, erst auf ­Honorarbasis, ein Jahr später in Festanstellung. Im Jahr 2000 erhielt ich schließlich meine Approbation als Psychotherapeut für Kinder- und Jugend­liche.


Mit welchen Gefühlen gehen Sie in den Ruhestand?
Ich freue mich, dass ich nicht mehr so viel arbeiten muss. Aber ich werde auf jeden Fall weiter Musik mit Kindern und Jugendlichen machen. Ich habe ein eigenes Musikstudio mit verschiedenen Bandprojekten, zum Teil auch mit Jugend­lichen, die hier Patientinnen und Patienten waren. Nach fast 41 Jahren heißt es, sich von vielen Dingen langsam zu verabschieden. Das fühlt sich für mich sehr schlüssig und gut an.


An was erinnern Sie sich heute noch gerne?
Ich erinnere mich gerne an die Sommerfeste in der alten Klinik, die wir im multiprofessionellen Team gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Da haben wir zum Beispiel eine Rockoper aufgezogen. Mit allen, die dort in der Spezialtherapie und der Psychologie gearbeitet haben und eine kreative Ader hatten. Wir haben die Patientinnen und Patienten einbezogen und ein gemeinsames Drehbuch geschrieben. Die Ergotherapie hat das Bühnenbild gebaut, die Tanztherapie eine Choreographie entwickelt, und es gab natürlich Live-­Musik – ein tolles Miteinander. Eine Woche lang haben wir das Haus auf den Kopf gestellt. Auch die Schule hat uns unterstützt. Es gab keinen normalen Schulunterricht – alles fieberte der Premiere entgegen. Der Zusammenhalt im Kollegium wuchs in dieser Zeit und auch die Kinder und ­Jugendlichen haben die Psychiatrie anders kennengelernt – nicht defizit-, sondern ressourcenorientiert.


Auf einer Bühne befinden sich viele Musiker, im Vordergrund an Tischen und Bänken viel Publikum
© kbo - Kliniken des Bezirks Oberbayern

Wie hat sich die Arbeit mit den Kids verändert?
Manche Kinder und Jugendliche haben im Umgang mit Musik negative Erfahrungen gemacht, weil sie getrimmt wurden, „richtig“ zu spielen. Sie haben dann ihr Instrument zur Seite gelegt und nicht mehr musiziert. Für uns ist Musik eher eine Möglichkeit, sich auszudrücken, wenn man die richtigen Worte nicht findet. Durch diese Niederschwelligkeit versuchen wir, ihnen die Angst vor dem Musizieren zu nehmen und Musik eher als Sprache einzusetzen. Das geht über das aktive Musizieren, bei dem wir keine Partituren brauchen. Und dann beziehen wir die Musik mit ein, die die Patientinnen und Patienten gerne ­hören.


Haben Sie auch nach der Therapie noch Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen?
Ja, manchmal kommen Jugendliche und fragen: „Kennen Sie mich noch?“ Manchmal muss ich „Nein“ sagen, denn sie ­haben sich im Lauf der Zeit ja auch verändert. Es ist schön, zu sehen, was aus ihnen geworden ist. Beispielsweise hat ein Kollege bei einem Liveauftritt mit einem Schlagzeuger gespielt. Sie sind ins Gespräch gekommen, und er hat erzählt, dass er als Jugendlicher bei mir in der ­Musiktherapie war. Er sagte, dass diese ­Therapie wichtig für ihn war, seinen Weg zu finden. (Interview: RA)