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„Die Chemie muss stimmen“

München, den Datum: 21.10.2022

Gespräch mit VIF-Vorständin Brigitte Tschersich über Suche nach Assistenzkräften für Menschen mit Behinderungen

Das Arbeitgebermodell ermöglicht Menschen mit Behinderungen, ihre Assistenzkräfte eigenverantwortlich auszuwählen und selbstbestimmt zu leben. Die Suche nach geeigneten Assistenzkräften ist angesichts des Personalmangels eine Herausforderung für sich. Im Gespräch erklärt Brigitte Tschersich vom geschäftsführenden Vorstand der Münchner Vereinigung Integrations-Förderung (VIF), woran es aktuell am meisten fehlt.

Frau Tschersich, selbstbestimmt Leben mit Pflegeassistenz, das wünschen sich viele Menschen mit Behinderungen. Was sind die Aufgaben einer Pflegeassistenz?

Brigitte Tschersich Der Begriff Pflegeassistenz greift zu kurz, da er nur einen Teilbereich der Tätigkeit der persönlichen Assistenz beschreibt. Diese umfasst alle Bereiche des täglichen Lebens wie Körperpflege, Haushalt, Kochen, praktische Hilfen in Freizeit, Hobby, Schule sowie am Arbeitsplatz und vieles mehr. Sie ist somit eine ganzheitliche Dienstleistung. Je nach Bedarf des Menschen mit Behinderung kann diese variieren und von unterstützender Tätigkeit bis hin zur vollen Ausführung reichen, je nach behinderungsbedingter Einschränkung. Als Beispiel: Person A benötigt beim Zähneputzen nur Handreichungen wie den Becher mit Wasser füllen und die Zahnbürste zur Nutzung reichen. Bei Person B muss die Tätigkeit des Zähneputzens aber völlig von der Assistenz ausgeführt werden.

Die VIF sucht aktuell wieder über die Sozialen Medien Assistenzkräfte. Wie erheblich ist die Lücke?
Die Lücke ist sehr groß. Wir kennen fast keinen Haushalt mehr, der nicht sucht. Auf 25 Anfragen von Menschen, die über uns eine Assistenzkraft suchen, kommt ungefähr eine Bewerbung. Daran sieht man, dass der Mangel wirklich sehr groß ist.

Wer kann sich bewerben und welche Voraussetzungen müssen interessierte Personen mitbringen?
Bewerben kann sich erst einmal jede Person, die daran interessiert ist. Eine Berufsausbildung ist keine Voraussetzung. Die Einarbeitung und Qualifizierung erfolgt dann bei der jeweiligen arbeitgebenden Person. Neben guten Deutschkenntnissen sind eher persönliche Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Verlässlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Diskretion, Belastbarkeit und Ausdauer sowie die Fähigkeit und Bereitschaft, seine eigenen Belange hintenanzustellen, erforderlich. Die jeweilige Arbeitgeberin oder der jeweilige Arbeitsgeber entscheidet dann in einem Vorstellungsgespräch, ob die Bewerberin oder der Bewerber die Voraussetzungen für ihren oder seinen individuellen Hilfebedarf erfüllt.

Wie hoch ist der Verdienst?
Ab September 2022 beträgt der Verdienst für Einsteiger 13,91 Euro, ab dem dritten Beschäftigungsjahr 14,21 Euro. Bewerberinnen und Bewerber mit einer anerkannten pflegerischen Berufsausbildung erhalten jeweils 30 Cent mehr.

Welche Information ist aus Ihrer Sicht noch wichtig, wenn sich jemand für diese Aufgabe interessiert?
Wichtig zu wissen ist, dass dies keine Aufgabe ist, sondern ein Arbeitsverhältnis mit Rechten und Pflichten wie in anderen Betrieben auch. Der Bereich bietet auf Grund seiner Struktur Vorteile für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

So können die Arbeitszeiten im Einvernehmen mit der Arbeitgeberin und dem Arbeitgeber oft recht flexibel gestaltet werden, da bietet der individuelle Bedarf im Privathaushalt doch mehr Spielraum. Jede und jeder kann die arbeitgebende Person finden, die zu ihr oder ihm passt, wo sozusagen die Chemie stimmt.

(Interview: cmy)



Weitere Informationen

In Oberbayern erhalten derzeit rund 240 Personen durch den Bezirk Oberbayern Leistungen über das Arbeitgebermodell. Arbeitgeber sind jeweils die Menschen mit Assistenzbedarf selbst. Der Bezirk Oberbayern finanziert die Lohn- und Lohnnebenkosten, Lohnfortzahlung bei Urlaub und Krankheit sowie die Kosten für die Buchhaltung.

In einem Faltblatt beantwortet der Bezirk Oberbayern wichtige Fragen zum Arbeitgebermodell. Dort gibt es auch Informationen dazu, wer Leistungen nach dem Arbeitgebermodell erhalten kann. Der Flyer ist als Druckversion und als Web-PDF erhältlich. Download und Bestellungen unter: Publikationen Soziales / Bezirk Oberbayern (bezirk-oberbayern.de).

Beide Organisationen sind Mitglied im Dialogforum des Bezirks Oberbayern, in dem das Arbeitgebermodell weiterentwickelt wird. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine Anpassung der Vergütungsstrukturen.