„Perlen, die ans Licht kommen und glänzen“
München, den Datum: 25.10.2024Tristanstraße hilft seit vier Jahrzehnten Jugendlichen auf dem Weg ins Leben
Die Therapeutische Wohngruppe Tristanstraße des kbo-Heckscher-Klinikums wurde am 1. August 1984 eröffnet. Im Rahmen der Jugendhilfe werden dort acht Jugendliche und junge Erwachsene im Aufnahmealter zwischen 16 und 18 Jahren über einen Zeitraum von längstens zwei Jahren vollstationär betreut. Zum 40-jährigen Jubiläum hat sich Ruth Alexander mit dem Leiter Thomas Melcher getroffen.
Herr Melcher, mit 40 steht man ja mitten im Leben.
Gilt das auch für die WG?
Thomas Melcher: Ich würde eindeutig sagen: „Ja, klar!“ Wir haben uns einerseits ein stabiles Grundgerüst an Haltungen, Strukturen, Werten und Regeln erarbeitet und auch viel Erfahrung gesammelt, so dass uns nicht jede Irritation erschüttert. Andererseits sind wir aber auch noch neugierig und flexibel genug, um auf Herausforderungen und Veränderungen zu reagieren. Und unsere Kids – deren Alter ja immer gleichbleibt – halten uns sowieso fit.
Zu Beginn hieß die Wohngruppe „Übergangseinrichtung der Heckscher-Klinik“. Hat sich am Konzept grundlegend etwas verändert?
Dieser Namenszusatz beschreibt für mich immer noch den entscheidenden Punkt, und ich verwende ihn sehr bewusst bei Infogesprächen und Veranstaltungen. Wir sind eine vollbetreute Einrichtung der Jugendhilfe, in der der Aufenthalt von vornherein zeitlich begrenzt ist. Er dauert mindestens ein, höchstens zwei Jahre. Wir verstehen diese Zeit als eine Art „Trainingslager“, in dem wir den Übergang der Jugendlichen – in der Regel nach einem oder mehreren Klinikaufenthalten – begleiten. Wohin auch immer: zurück in die Familie, in eine weniger betreute Wohnform, die teil- oder einzelbetreut ist, oder gelegentlich auch in eine längerfristige Betreuung.
Warum ist das zeitlich befristete Leben in einer WG wie dieser für die Jugendlichen richtig?
Weil diese zeitliche Begrenzung von vornherein Struktur gibt. Die Jugendlichen wissen von Anfang an: Es ist nicht „für immer“. Sie lassen sich so auch auf unangenehme Regeln ein und können sie eher akzeptieren, wie beispielsweise das Alkoholverbot oder die begrenzten Ausgangszeiten. Diese zeitliche Befristung macht den Aufenthalt wertvoller, und die Jugendlichen wachsen letztlich aus dem doch auch engen Rahmen heraus.
Die Heranwachsenden haben alle eine feste Bezugsperson im Team der Wohngruppe. Warum?
Weil Beziehung das A und O unserer Arbeit ist! Ohne Beziehung gibt es keine Veränderung und keine Entwicklung. Wir sind ein kleines Team und natürlich weiß jede Kollegin und jeder Kollege immer über alle Kids Bescheid. Aber die Bezugsperson ist die Hauptanlaufstelle für die Jugendlichen während ihres Aufenthaltes. Bei ihr laufen die Fäden zusammen. Und im besten Fall entwickelt sich eine Vertrauensbeziehung.
Was ist das Besondere an der Arbeit in diesem WG-Team?
Das Hauptziel in der Arbeit mit unseren Jugendlichen ist ja immer, ihre größtmögliche Verselbständigung und Selbstverantwortung zu erreichen. Das bedeutet, dass wir das auch als Team vorleben müssen. Wir versorgen das Haus weitgehend selbst, und es gibt ganz bewusst keine Person, die nur zum Putzen, Kochen oder Gärtnern da ist. Die Arbeit in unserem Team ist also einerseits sehr vielseitig und abwechslungsreich. Sie ist pädagogisch, therapeutisch, aber auch ganz lebenspraktisch und erfordert viel eigene Selbständigkeit und den Blick aufs Ganze. Andererseits müssen wir uns natürlich sehr eng absprechen und vernetzen - auch um Spaltungen zu vermeiden.
Eine große Besonderheit dieses Teams ist sicher die Stabilität. Das alte Team hat zum Teil über Jahrzehnte zusammengearbeitet, bis die Kolleginnen und Kollegen nach und nach in Rente gegangen sind. Jetzt ist es großartig zu sehen, wie die nächste Generation hochengagierter Kolleginnen sich mit Professionalität, Freude, Herzblut und ganz viel Energie diesem Ringen um die jeweils bestmögliche Lösung stellt und die WG damit weiterentwickelt.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem „Mutterhaus“ in Giesing?
Als einzige Jugendhilfeeinrichtung bei kbo – und noch dazu als sehr kleine – fallen wir immer wieder etwas aus der Reihe, denn viele Klinikstrukturen passen nicht auf unser „kleines gallisches Dorf“. Es freut uns sehr, dass uns die Selbständigkeit, das Vertrauen und die Flexibilität, die wir so notwendig brauchen, von Seiten der Klinikleitung entgegengebracht wird.
Gibt es etwas, das Sie gerne noch loswerden wollen?
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen kitschig und natürlich gelingt es auch nicht immer in jedem Einzelfall: Aber dabei sein zu dürfen, wenn positive Veränderung gelingt, wenn Entwicklung bei den Jugendlichen passiert, die sich uns anvertraut haben, wenn die Perlen, die ja ohnehin schon da sind, ans Licht kommen und glänzen – das ist schon immer etwas ganz Besonderes, das uns alle immer wieder freut und berührt.