Inhalt

„Ohne Eigenproduktion geht nichts mehr“

München, den Datum: 19.04.2023


Im Gespräch: Volker Lemsch, Leiter der Apotheke am kbo-Isar-Amper-Klinikum

Nicht lieferbare Krebsmedikamente, Antibiotika oder Schmerzmittel: Zuletzt häuften sich die Berichte über den Mangel an wichtigen Medikamenten. Als eine Ursache gilt die fast komplette Abhängigkeit deutscher Pharmafirmen von Wirkstofflieferungen aus China und Indien. Das Bezirksblatt sprach mit Volker Lemsch, dem Leiter der Apotheke des kbo-Isar-Amper-Klinikums in München-Ost, über die aktuelle Lage.

Portraitfoto eines Mannes mit kurzen Haaren.
Volker Lemsch, Leiter der Apotheke am kbo-Isar-Amper-Klinikum (Foto: Privat © kbo Isar-Amper-Klinikum München Ost)

Herr Lemsch, welche Kliniken beliefern Sie zentral aus der Apotheke am kbo-Isar-Amper-Klinikum mit Medikamenten?
Volker Lemsch Aktuell sind es 17 Kliniken aus dem kbo-Kosmos und weitere sechs Kliniken privater und öffentlicher Träger in Oberbayern. Zusammengerechnet verfügen sie über rund 4 160 Betten und Behandlungsplätze. Wir versorgen die Häuser nicht nur mit Psychopharmaka, sondern fast mit der gesamten Palette lieferbarer Medikamente für somatische Erkankungen.

Viele Patientinnen und Patienten psychiatrischer Kliniken werden mit Psychopharmaka behandelt. Welche Medikamentengruppen betrifft der Mangel aktuell?
Es kommt immer wieder zu Lieferabrissen und -unterbrechungen bei wichtigen Psychopharmaka.
Alle Indikationsgruppen sind betroffen. Zurzeit ist beispielsweise das Neuroleptikum Dominal in Tablettenform und als orale Lösung nicht lieferbar. Wir müssen es über Importeure und internationale Apotheken aus dem Ausland beschaffen. Außerdem fehlen wichtige Onkologika zur Behandlung von Krebserkrankungen, spezielle Medikamente für Kinder wie Fieber-, Schmerz- und Antibiotika-Säfte und für Erwachsene Antibiotika, Antidiabetika, Lysetherapeutika, die wir für die Therapie von Schlaganfällen brauchen, Psychopharmaka und viele weitere Medikamente.

Was sind die Ursachen für den Mangel?
Die Auslagerung der Produktion von Rohstoffen und Medikamenten heraus aus der EU vor allem nach China und Indien, keine Lagerhaltung bei den für Herstellung und Logistik zuständigen Firmen, keine gesetzliche Verpflichtung zur Lagerhaltung für die pharmazeutische Industrie: Das sind nur einige Beispiele.

Gibt es weitere Gründe?
Die Liste der Ursachen für diese schwierige Situation kann ich beliebig verlängern. Da sind zum einen hausgemachte Fehler im System der Abrechnung mit den Krankenkassen, die durch die Preisgestaltung und das Festbetragssystem verursacht werden. Außerdem gibt es für bestimmte Wirkstoffe nur noch ein bis zwei Rohstoffhersteller weltweit, oft in Billiglohnländern mit schlechten Arbeitsbedingungen und Sicherheitsstandards sowie langen Lieferwegen. Das haben wir bei der Blockade des Suezkanals durch das Containerschiff Ever Given vor zwei Jahren sofort deutlich zu spüren bekommen. Ohne Lagerhaltung vor Ort ist das System zu träge, um schnell reagieren zu können. So kommt es sehr oft zu Engpässen in der Versorgung.

Behelfen Sie sich auch, indem Sie Medikamente selbst herstellen?
Ja, ohne die Eigenproduktion geht nichts mehr. Die Krankenhausapotheken sind gesetzlich verpflichtet, einen Zwei-Wochen-Vorrat bereitzuhalten, bei bestimmten Medikamenten sind es drei Wochen. Um kurze Lieferunterbrechungen überbrücken zu können, haben wir bei vielen Medikamenten die Reichweite auf vier bis sechs Wochen erhöht. Dies bindet Kapital und belastet die Lagerlogistik. In einer Mangellage sind diese Vorräte schnell aufgebraucht. Wir Apotheker und Apothekerinnen müssen dann nach Alternativen suchen. Das kostet uns viel Zeit und Energie. Deshalb stellen wir beispielsweise Fiebersaft, Pulverbriefchen und Kapseln selbst her. Außerdem versuchen wir natürlich, auf andere Produkte mit gleicher Indikation auszuweichen.

Wann sprechen Sie von Lieferengpässen?
Als Lieferengpässe gelten in der Wirtschaft Unterbrechungen der Lieferfähigkeit und -bereitschaft oder eine plötzlich deutlich vermehrte Nachfrage, die nicht angemessen befriedigt werden können. Das ist bei uns fast durchgehend der Fall. Der Lieferengpass bei Piperacillin-Tazobactam – das ist ein Breitband-Penicillin – dauerte fast zwei Jahre. In diesem Zeitraum sind wir nur unzureichend mit diesem wichtigen Antibiotikum versorgt worden. Wir haben viele Therapien überprüft und auf ein anderes Antibiotikum umgestellt. Durch diese Mehrbelastung haben wir es bewerkstelligen können, dass wir trotzdem jede erforderliche Menge liefern konnten.

Die Apotheke am kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost versorgt folgende Kliniken mit 4 152 Behandlungsbetten:

kbo-Kliniken

  • kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost
  • kbo-Isar-Amper-Klinikum Taufkirchen/Vils
  • kbo-Lech-Mangfall-Kliniken Agatharied und Landsberg/Lech
  • kbo-Heckscher-Klinikum München mit Zweigstellen auf der Rottmannshöhe (Lkr. Starnberg) sowie in Ingolstadt, Landsberg, Rosenheim und Wasserburg, kbo-Kinderzentrum München sowie
  • kbo-Inn-Salzach-Klinikum Wasserburg am Inn mit Häusern in Freilassing, Altötting, Rosenheim und Ebersberg.

Weitere belieferte Kliniken
Klinik Menterschwaige, Real RPK (GTG Bad Tölz), Privatklinik Josephinum, Klinik Wartenberg, Kirinus Tagesklinik sowie Klinik Windach