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„Inklusion bedeutet Teilhabe für Alle“

München, den Datum: 19.11.2018
Gesundheit

Bezirk Oberbayern zeichnet das Bildungsprogramm PARTicipation mit dem 2. Platz des Inklusionspreises 2018 aus

Die Initiative PARTicipation setzt sich für Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft ein. Sie wirbt dafür, inklusive Werte zu entwickeln und zu leben. Mit ihrem Bildungsprogramm möchte PARTicipation das Bewusstsein für gesellschaftliche Veränderungen fördern. Ein Gespräch mit der Initiatorin, Stefanie Lehmann.

Frau Lehmann, Glückwünsch zum Inklusionspreis. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
Stefanie Lehmann: Vielen Dank! Wir freuen uns wirklich sehr über diese Auszeichnung und die damit verbundene Anerkennung und Wertschätzung unserer Arbeit. Als kleine eigenständige Initiative ohne großen Träger im Hintergrund ist auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die mit dem Preis verbunden ist, sehr hilfreich und willkommen für uns.

PARTicipation ist ein Bildungsprogramm von und mit Menschen mit Behinderungen. Wie arbeiten Sie und was ist Ihr Ziel?
Lehmann: Ein wichtiges Merkmal ist, dass wir aus der eigenen Perspektive sprechen, also nicht „über“- sondern „mit“-einander. Das bedeutet, dass wir grundsätzlich zu zweit unterwegs sind: Ekaterina Zeiler, unsere „Disability Equality Trainerin“, die selber eine Beeinträchtigung hat, und eine „Elterntrainerin“, also ein Elternteil eines Kindes mit Beeinträchtigung. Diesen Part übernehmen meine Kollegin Anja Rosengart oder ich. Jede von uns Dreien bringt zusätzlich ihre jeweils eigenen Kompetenzen und Erfahrungen ein. Unser Ziel ist es, aus dieser authentischen Perspektive zur Bildung eines inklusiven Bewusstseins anzuregen.

Bewusstseinsbildung ist ein sperriges Wort. Was bedeutet das für Sie?
Lehmann: Erstmal geht es um das Hinterfragen des eigenen Bewusstseins. Unser Bewusstsein ist ja nichts, was ausschließlich aus uns selber kommt. Wir wachsen mit bestimmten Bildern auf, die durch Erziehung und Gesellschaft geprägt werden. Das ist uns oftmals gar nicht bewusst. Dieses „Un“-Bewusstsein möchten wir deutlich machen, etwa durch geschichtliche Informationen, das Herstellen von Zusammenhängen und die Anregung, sich selbst zu reflektieren. Damit kann, im besten Falle, die aktive Entwicklung eines inklusiven Bewusstseins beginnen.

Sie veranstalten Seminare für Eltern von Kindern mit Beeinträchtigungen, für Fachleute und Interessierte. Wie laufen diese Seminare ab?
Lehmann: Wichtig ist die Definition von Inklusion – besonders im Unterschied zur Integration – und die Vorstellung verschiedener Perspektiven auf Behinderung. Wir werfen einen Blick in die Geschichte, um einen Zusammenhang zu unserer jetzigen gesellschaftlich-kulturellen Sichtweise herzustellen. Wir schauen hinter scheinbar selbstverständliche Bilder, wie beispielsweise unser Verständnis von Leistung oder unsere Sprache. Hierzu stellen wir verschiedene hilfreiche Handlungswerkzeuge vor. Und wir machen deutlich, dass Inklusion „Teilhabe für Alle“ bedeutet!

Wer bucht Ihre Kurse?
Lehmann: Hier gibt es ein breites Spektrum. Zu uns kommen Fachleute aus den Bereichen Beratung, Pädagogik, Schulbegleitung, Therapie und Selbsthilfe. Andere Teilnehmende kommen aus familiären Gründen. Bunt wird es besonders bei den Inhouse-Veranstaltungen. Hier kommen die Einladungen auch von städtischen oder staatlichen Stellen. So haben wir für die Stadt München im Rahmen von „München wird inklusiv!“ zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult. Im letzten Jahr hatten wir eine Einladung von der Schülermitverwaltung eines Gymnasiums mit 50 Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 20 Jahren. Und vor kurzem waren wir bei der Alevitischen Jugend Bayerns zur Kick-off-Veranstaltung ihres Projekts „Inklusive uns!“. Sowas finde ich fantastisch! Das ist auch für uns spannend und zeigt, dass es eben nicht nur um „Behinderung“ geht, sondern um die Vielfalt in unserer Gesellschaft.

Inklusion ist in der Sozialen Arbeit zwar in aller Munde. Aber ist sie auch in den Köpfen der Menschen außerhalb dieses Umfelds angekommen?
Lehmann: Leider muss ich sagen: Im Mund heißt noch nicht im Kopf! Viele Menschen sprechen von Inklusion eher im Sinne von Integration. In der Tat geht es um einen gesamtgesellschaftlichen Prozess, der auch Menschen mit Beeinträchtigung betrifft. Inklusion hat mit Rahmenbedingungen zu tun und dem eigenen Bewusstsein. Gerade in einer Zeit, in der oft polarisiert wird und in der Ausgrenzung wieder salonfähig zu werden scheint, ist es wichtig, dieses Thema in die Breite der Bevölkerung zu bringen. Denn Inklusion geht uns alle an.

Inklusion soll in unserer Gesellschaft präsent sein. Was können wir alle dafür tun?
Lehmann: Wir sollten uns gegenseitig wahrnehmen, so verschieden wir nun mal sind. Und uns in dieser Verschiedenheit anerkennen und respektieren. Dafür braucht es vor allem Möglichkeiten, sich zu begegnen und miteinander in persönlichen Kontakt zu kommen. Nur dann können wir uns gegenseitig fragen, einander zuhören und darüber unsere Berührungsängste abbauen. Und wir sollten keine Angst vor Veränderung haben!

Ihre Initiative erhält ein Preisgeld in Höhe von 3.000 Euro. Wie werden Sie es verwenden?
Lehmann: Da es uns wichtig ist, dass viele Menschen in unsere Seminare kommen, sind unsere Teilnahmegebühren niedrig und werden bei Bedarf nochmals reduziert oder auch ganz erlassen. Daher möchten wir gerne Fortbildungen für uns selber und Vernetzungen mit anderen Initiativen mit dem Preisgeld finanzieren.