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Kategorie: Gesundheit
23.11.2017

Pionierin der Selbsthilfe

Eva Straub gibt ihren Sitz im oberbayerischen Sozialausschuss ab

Über 90 Sitzungen des Sozial- und Gesundheitsausschusses hat Eva Straub für den Verband der Angehörigen psychisch Kranker (ApK) als beratendes Mitglied begleitet. Seit 1999 gehört die Ingolstädterin als Sachverständige dem Gremium an. Die 82-Jährige übergab jetzt die Stafette an Rita Wüst, ApK-Vorsitzende in München. Im Interview äußert sich Straub über ihre Arbeit als Sachverständige und ihre Wünsche für die Zukunft.

Liebe Frau Straub, 18 Jahre Gremienarbeit im Bezirk Oberbayern! Künftig gehören Sie dem Sozialausschuss nur noch als Stellvertreterin an. Wie fühlt sich dieser Rückzug an?
Eva Straub: Zweierlei: Bedauern und Erleichterung! Einerseits werden mir die Begegnungen mit den Mitgliedern des Gremiums und den Experten fehlen. Fehlen werden mir auch die über die Psychiatrie hinausgehenden vielfältigen Diskussionen. Dort beteiligt gewesen zu sein, wo die Weichen für die Versorgung psychisch kranker Menschen gestellt werden, werde ich vermissen. Andererseits wird mir mehr Zeit bleiben für meine Familie und für mich, für kulturelle Dinge und für die örtliche Interessensvertretung der Angehörigen in der Region10.

Eva Straub
Foto: Claas Gieselmann © Pressestelle Bezirk Oberbayern

Ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten als Vorsitzende des ApK-Landesverbandes und im Sozialausschuss waren zeitintensiv. Wie konnten Sie das mit der Familie vereinbaren?
Straub: Die Familie musste schon auf einiges verzichten, aber nicht nur wegen meiner Teilnahme an den Sitzungen in München. Es kamen ja laufend neue Bereiche hinzu. Gemeinsame familiäre Aktivitäten wurden seltener, weil die Zeit dafür nicht reichte. Es gab halt Wichtigeres! So manche Kaffeestunde fiel der Vorbereitung auf Sitzungen zum Opfer. Aber eines war mir immer sehr bewusst und wichtig: Unser psychisch kranker Sohn sollte nicht unter meinen vielen Abwesenheiten leiden. Mein Mann und meine Kinder haben mich deshalb sehr unterstützt und waren immer verständnisvoll. Auch für sie war es selbstverständlich, sich mit ganzer Kraft für die Verbesserung der Lebensqualität von Familien, in denen jemand psychisch krank ist, einzusetzen.

Lange Zeit waren Sie im Ausschuss die einzige Vertreterin der psychiatrischen Selbsthilfe. Sehen Sie sich als Pionierin?
Straub: In mancher Beziehung schon. Als ich 1999 das erste Mal an einer Sitzung teilnahm, war das für mich die Bestätigung, endlich mit unseren Erfahrungen und Anliegen ernst genommen zu werden. Der Sozialausschuss war die erste politische Basis, von der aus wir die Angehörigen-Selbsthilfe als Gesprächspartner und Mitgestalter einbringen konnten. Das ermöglicht zu haben, dafür danke ich auch im Namen meiner Mitstreiter dem damaligen Bezirkstagspräsidenten Erwin Filser und den Mitgliedern des Ausschusses. Mittlerweile sind Anerkennung und Akzeptanz der Angehörigen-Selbsthilfe in gesundheitspolitischen Foren weit über die Bezirke hinaus selbstverständlich. Besonders freut mich natürlich, dass jetzt auch die Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener in vielen Gremien mitarbeitet.

Was konnten Sie für die Stellung der Angehörigen im Versorgungssystem erreichen?
Straub: Es ist gelungen, klarzumachen, dass die Angehörigenperspektive immer berücksichtigt werden sollte, will man nachhaltige Versorgungsstrukturen in der ambulanten und stationären Psychiatrie schaffen. Wir haben dazu beigetragen, dass die Notwendigkeit von ambulanten flexiblen und aufsuchenden Nachsorgeangeboten erkannt und der Ausbau gefördert wird. So hat sich das Bewusstsein gebildet, dass es nicht nur einer personen-, sondern auch einer familienorientierten psychiatrischen Versorgung bedarf.

Gab es spürbare Veränderungen im Umgang mit der Selbsthilfe?
Straub: Ja, die gab es. Mit den Jahren ist eine gute Zusammenarbeit und umfassende Wertschätzung auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und Respekt entstanden. Das ist wohl auch dadurch gekommen, dass wir Angehörigen uns immer bemüht haben, das Machbare im Auge zu behalten und nie überzogene und anmaßende Forderungen zu stellen. Die Angehörigen-Selbsthilfe ist, so wird mir versichert, ein verlässlicher und bereichernder Partner bei der psychiatrischen Versorgungsplanung geworden, und das nicht nur im Bezirk Oberbayern, auch in den anderen Bezirken. Dass wir als Sachverständige anerkannt sind, zeigt sich auch darin, dass die Arbeit der Selbsthilfe von den Bezirken finanziell gefördert wird.

Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Reform, zu der Sie beitragen konnten?
Straub: Da muss ich nicht lange überlegen: der flächendeckende, ambulante psychiatrische Krisendienst in Oberbayern. Dass ich das noch in meiner aktiven Zeit im Sozialausschuss erlebe, ist umwerfend. So lange ich denken kann, haben wir Angehörigen dafür gekämpft. Dass ich dazu beitragen konnte, erlebe ich wie eine Belohnung für all die Jahre ehrenamtlicher Arbeit. Sehr eingesetzt habe ich mich auch für eine flexiblere Arbeits- und Wohnwelt in der Psychiatrie, die auch die „Schwächsten“ mitnimmt und ihnen Chancen zur Inklusion bietet. Ein Beispiel dafür ist die Zunahme der Arbeitsplätze im Zuverdienst. Diese sind Genesungs-Bausteine für eine oft vergessene Gruppe von psychisch schwer beeinträchtigten Menschen, die weder vollarbeitsfähig sind noch wirklich arbeitsunfähig. Deshalb brauchen sie besondere Unterstützung, um im Arbeitsleben wieder Fuß zu fassen.

Politische Gremienarbeit ist nicht immer einfach. Welchen Rat geben Sie Ihrer Nachfolgerin Rita Wüst mit auf den Weg?
Straub: Frau Wüst ist erfahren, sie braucht keinen Rat von mir. Vielleicht dennoch eins: Veränderungen brauchen lange. Nicht die Geduld und den Mut verlieren. Und wenn es um etwas geht, dass wir für unverzichtbar für psychisch kranke Menschen und ihre Angehörigen erachten, hat sich die Methode „Steter Tropfen höhlt den Stein“ bewährt. 

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